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Bayerischer Rundfunk im Würgegriff

■ Stoiber–Brief an Intendanten des Bayerischen Rundfunks dokumentiert Einflußnahme der CSU auf Personalentscheidungen SPD fordert Stoibers Rücktritt / Vorwurf: Verstoß gegen das Verfassungsgebot / „Staatsferne“ des Rundfunks nicht gewährleistet

Aus München Luitgard Koch

„Zum ersten Mal wird hier in nicht widerlegbarer schriftlicher Form deutlich gemacht, wie die bayerische Staatskanzlei gegenüber dem Bayerischen Rundfunk agiert“, so der Vorsitzende der bayerischen SPD–Landtagsfraktion Karl– Heinz Hiersemann gestern auf einer Pressekonferenz in München. Diesmal haben es die Genossen schwarz auf weiß. Ihnen wurde ein Brief zugespielt, der eindeutig die Einflußnahme und Pression der bayerischen Staatsregierung auf Personalentscheidungen im Bayerischen Rundfunk dokumentiert. In dem Brief vom 2. Februar dieses Jahres mit dem Vermerk „persönlich/vertraulich“ wandte sich der Leiter der Staatskanzlei, Edmund Stoiber, an den Intendanten des BR, Reinhold Vöth, um ihm klarzumachen, was die CSU von ihm erwartet und welche Posten sie mit wem besetzt haben möchte. So beschäftigt Stoiber an erster Stelle die Frage, wer als Nachfolger des Fernsehredakteurs Jochen Filser vorgesehen sei. Filser wurde nach dem Eklat, den der Auftritt Udo Lindenbergs in der Jugendsendung des Bayerischen Fernsehens „Pink“ hervorrief, suspendiert. Lindenberg hatte es gewagt, das Christkind als „Fratz“ zu bezeichnen. Maßgeblich beteiligt an diesem Skandal war Edmund Stoiber, der in seiner Funktion als Rundfunkrat und Wahrer christlicher Werte als erster intervenierte. In seinem Brief an Vöth betont er, daß Filser „von seinen bisherigen Aufgaben entbunden bleibt“. Im Rundfunkrat als auch im Fernsehausschuß, der sich mit dem Thema befaßte, war jedoch nur die Rede davon, daß Filser vorübergehend vom Dienst suspendiert wird. Weiterhin liegt Stoiber die Nachfolge des langjährigen Rundfunkjournalisten, Leiter der Abteilung „Korrespondenten in Bayern“, Bernhard Ücker, am Herzen. Fortsetzung auf Seite 2 Kommentar auf Seite 4 Ücker bietet als Sprachrohr der Staatsregierung in seinem regelmäßigen „Kommentar zur Bayerischen Landespolitik“ die Gewähr dafür, daß die CSU nicht „unsachgemäß“ kritisiert wird. „Hier kam die Einflußnahme offenbar zu spät“, kommentierte Hiersemann das Schreiben. Stoiber verwahrte sich in dem Brief nämlich dagegen, daß der Journalist Ernest Lang diese Stelle bekommt. Lang habe in einem Kommentar zum leidigen Thema „verstrahltes Molkepulver“ dem bayerischen Umweltminister Dick die Glaubwürdigkeit absprechen wollen, protestiert er. „Ich sehe in diesem ohne jede Sachkunde abgefaßten Kommentar alles andere als ein Indiz für die Qualifikation“, schreibt Stoiber und macht Vöth nochmal eindringlich klar, daß er keine Stellungnahme zu seiner Kritik an dem Kommentar will, sondern einzig und allein die Personalentscheidung beeinflussenwill. Lang hat diese Stelle jedoch angetreten. Auch für die Nachfolge von „Chefreporter“ Dagobert Lindlau und Dr. Eberhard Büssem aus der Weltspiegelredaktion interessiert sich Stoiber und will von Vöth über die vorgesehenen Nachfolger informiert werden. „Das Verfassungsgebot der Staatsferne des Rundfunks und Freiheit von staatlicher Beherrschung und Einflußnahme ist in Bayern in schlimmer Weise verschwunden“, stellte Hiersemann fest und forderte den Rücktritt des Staatsministers. Die bayerische Regierung bezeichnete gestern den Versuch, Stoiber ein verfassungswidriges Handeln anzulasten, als unsinnig.

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