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Koffer packen, Stühle rücken, Blumen gießen

■ Die Zitadellen grüner Regierungsmacht in Hessen werden geräumt / Noch immer sind die 200 Mitarbeiterinnen des ersten grünen Ministeriums der Republik von der Niederlage der SPD schockiert / Ihnen drohen Entlassung und Umsetzung

Von Reinhard Mohr

„Daß die SPD so ne Katastrophe ist, damit konnte man nicht rechnen“, formuliert Tom Koenigs, noch immer Leiter des Büros des Hessischen Ministers für Umwelt und Energie, auf seine Weise den Schockzustand, den das Ende des rot–grünen Projekts in der ehemals grünen Schaltzentrale ausgelöst hat. Im elften Stock des Ministeriumsgebäudes an der Wiesbadener Dostojewskistraße werden nun Schuld und Sühne diskutiert, Akten und Papiere gesichtet, Schreibtische aufgeräumt und die Topfpflanzen ausgiebig gegossen: Man wartet auf den neuen CDU–Umweltminister. Die Stimmung ist schlecht unter den 200 Mitarbeitern des Umweltministeriums, das nach gut einjähriger Amtsführung Joschka Fischers zu einer Bastion grüner Stammwählerschaft geworden ist. So schimpfen jetzt nicht nur grüne Parteigänger auf die „Scheiß–Sozis“, die in geistiger Umnachtung und „ohne Not“ die absichtsreiche Perspektive der rot–grünen Koalition in Hessen zerstört hätten. Dennoch: Die Zeit der Tränen, die noch bei Fischers Rauswurf durch Börner flossen, ist vorbei. Eine Sachbearbeiterin, die zu den rund 50 Angestellten gehört, die nach Fischers Amtsantritt in das neu aufzubauende Ministerium geholt wurden, sagt: „Wir werden nicht vorzeitig aufgeben, sondern erst einmal abwarten, was der neue Dienstherr bringt.“ Dieser neue Dienstherr wird wahrscheinlich Wagner heißen und ein rechtes Ekel sein. In seiner bisherigen Wirkungsstätte, dem Bundesumweltministerium in Bonn, „beteten die Mitarbeiter aller Couleur“, so ein Kenner der Szene, daß Wallmanns Staatssekretär nach einem Wahlsieg mit nach Wiesbaden wechseln möge. Wenn der Herr die Gebete erhört hat, dann stehen den Wiesbadener Referenten, Sachbearbeitern und Sekretärinnen womöglich schwere Zeiten ins Haus. Schon jetzt sind die Hausjuristen zu den gefragtesten Persönlichkeiten geworden, denn die Möglichkeiten und Unmöglichkeiten der (vorzeitigen) Entlassung, Umsetzung, Versetzung und schlichten „Kaltstellung“ bei den vielfältigen Anstellungs– und Dienstverhältnissen sind eine Wissenschaft für sich. Wenn die politische Führung einer Administration wechselt, können nur die „politischen Beamten“ sofort in den „einstweiligen Ruhestand“ entlassen werden - mit 75 Prozent ihrer Dienstbezüge auf die Dauer von fünf Jahren. Das betrifft im Umweltmini ob man ihn, unkündbar wie alle anderen Angestellten, als Regierungsdirektor in irgendeine nachgeordnete untere Wasserbehörde „strafversetzt“. „Ich habe ja das Beamtenrecht nicht gemacht, sondern die CDU“, sagt der Leitende Ministe rialrat und Beamte zur Anstellung Tom Koenigs, dem eine hochkarätige B 3–Versetzung droht. Er könne dem neuen Umweltminister zwar „nicht raten, mich im Amt zu halten“, aber seine gewerkschaftlichen Rechte werde er zu verteidigen wissen. Im übrigen, so Koenigs, sei das alles „ein ganz normaler demokratischer Prozeß“. Wer sich auf das Regieren und damit auch auf das Wesen der Verwaltungslogik einlasse, dürfe sich nachher nicht als unschuldiges Opfer gebärden. Oder, mit den Worten von Roland Schaeffer, persönlicher Referent von Ex–Minister Fischer: „Davon kann man für die Zukunft nur lernen.“ Es wird also schon wieder nach vorne gedacht. „Die Republik von unten begrünen“ will Tom Koenigs und hat dabei als Nahziel Frankfurt im Auge. Dort sollten die Grünen mit wachsendem Selbstbewußtsein und einem „positiven Gestaltungswillen“ in die Offensive gehen und „auf Sieg setzten“. „Die rot–grüne Sache ist noch nicht ausgekocht.“ Gleichwohl wird dem Leiter des Ex–Grünen Ministerbüros „erst jetzt richtig klar, wieviel ich im Dauerstress eines Jahres initiieren und entscheiden konnte“, jetzt, da die Administration ohne politische Initiative „selbstständig“ funktioniert - und wieviel sich nun ändern wird. Der Naturschutz wird wieder ins Landwirtschaftsministerium verlagert, die umstrittenen Mülldeponien Messel und Mainhausen werden „zum Abfall freigegeben“, die Müllverminderungspolitik wird einer Müllverbrennungspolitik Platz machen - ganz zu schweigen von den Genehmigungen für die illegal arbeitenden Hanauer Nuklearfabriken und der bekannt weitreichenden Sympathie der CDU für die Hoechst Ag. Roland Schaeffer sieht dennoch keinen Grund zur Panik: Die Grenzen des Machbaren und die Dringlichkeiten des Müllproblems gelten auch für einen Umweltminister der CDU. Es bleibt ein schwacher Trost in diesen Tagen, die den „Frühlung für Hessen“ bringen sollten. In der Dienstvilla der „Bevollmächtigten für Frauenangelegenheiten“ durchforstet Gruppenleiterin Birgit Laubach meterhohe Papier– und Aktenstöße. Nicht subversives Material wird hier beiseite geschafft, sondern jene Unterlagen werden herausgesucht, die der weiteren Arbeit jenseits der „ersten eigenständigen Frauenbehörde der Welt“ dienen können, wie Pressereferentin Gisela Wülffing ihre bisherige Arbeitsstätte nennt. Auch wenn die CDU - im Rita Süssmuth–Trend liegend - an einer Frauenstaatssekretärin nicht vorbeikommen werde, so sei es nun doch zu Ende mit einer Landesbehörde, die, von einer Feministin geleitet, sich „auf Probleme und Bedürfnisse von Frauen konzentriert und borniert“ habe. „Es ist verückt, wie existentiell ich plötzlich von einer Landtagswahl betroffen bin“, sagte die Feministin Gisela Wüllfing und packt ihre Sachen. Wenn sie von ihrem lange geplanten Frankreich–Urlaub zurückgekehrt sein wird, ist vielleicht schon die CDU–Stiftung „Familie hat Zukunft“ gegründet.

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