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I N T E R V I E W „Nebenan wurden die Leichen verbrannt“

■ Der Tamile Sritheran über die Haftbedingungen in Sri Lankas Gefängnissen Der heute 28jährige Tamile Sritheran wurde am 5. April 1984 im nordsrilankanischen Jaffna von der Armee unter dem Prevention of Terrorism Act festgenommen und drei Jahre lang bis Dezember 1986 inhaftiert. Zwei Drittel dieser Zeit verbrachte er im Hochsicherheitsgefängnis Welikade in Colombo, wo insgesamt 450 politische Gefangene einsitzen. Die 250 Tamilen unter ihnen führen seit dem 25. März einen Hungerstreik durch. Der Preention of Terrorism Act wurde 1979 erlassen und erlaubt eine 18monatige Inhaftierung unter incommunicado–Bedingungen: der Verhaftete muß nicht über die Gründe seiner Festnahme informiert werden, die Behörden sind nicht verpflichtet, den Angehörigen Auskunft über den Aufenthaltsort zu geben.

taz: Seit im Juli 1983 56 Tamilen im Welikade– Gefängnis massakriert wurden, ist dieser Ort internationalen Menschenrechtsorganisationen ein Begriff. Was verbindest du nach drei Monaten Freiheit damit? Sritheran: Für uns Tamilen ist Welikade ein Ort der Unterdrückung und des Widerstandes. Die Regierung dagegen versucht, ausländischen Besuchern das Gefängnis als „Schmuckstück“ vorzuführen. Und im Vergleich zu den Zuständen in den Militärlagern ist es das auch. Als ich verhaftet wurde, brachten sie mich zunächst ins Palladi–Camp. Dort gibt es einen Ort, der „Schlachthaus“ genannt wird. Dort wurde ich zum Beispiel drei Tage lang an den Beinen aufgehängt und geschlagen. Jeder Soldat, der vorbeikam, verprügelte mich. Ich durfte nicht zur Toilette gehen und als ich meine Notdurft in einen Trinkbecher verrichtete, schütteten sie mir den Urin ins Gesicht. Ähnlich ging es in einem Lager in Vavuniya zu. Wir waren mit 30 Leuten vier Monate lang in einem fensterlosen Raum ohne Toiletten eingepfercht. Nach drei Monaten wurde uns befohlen, die Töpfe mit den Exkrementen auf dem Kopf nach draußen zu tragen. Doch die Gefäße hatten überall Löcher und so lief der Kot über unsere Körper. Meine Beine waren von der Folter völlig kaputt. Sie bluteten und eiterten ständig. Aus den Berichten anderer Gefangener weiß ich, daß Häftlinge im Kallady–Camp in Trincomalee mit geschmolzenem Plastik übergossen wurden. Andere mußten Finger essen, die man ihnen abgehackt hatte. Wie erklärst du dir das Verhalten der Folterer? Manchmal denke ich: sie müssen psychisch krank sein. Sie rauchen zum Beispiel eine Zigarette und plötzlich drücken sie sie auf uns aus. Wie können Menschen so etwas tun? Für ihre Brutalität gibt es aber auch politische Gründe: Sie glauben, daß sie einen Befreiungskampf gegen die Tamilen führen, die ihnen ihr Land wegnehmen wollen. Dazu kommt, daß es keine Kontrolle gibt. Niemand, der foltert, wird bestraft. Im Armee–Camp von Kurunaigar konnten wir von unseren Zellen mehrmals beobachten, wie Leichen verbrannt wurden. Gleich neben dem Gefängnis waren in einem ausgetrockneten Teich manchmal 15 bis 20 tote Körper aufgeschichtet. Alte Menschen waren darunter, aber auch ganz junge und immer wenn in Jaffna etwas passiert war, brachten sie mehr. Wie sieht es im Vergleich dazu in Welikade aus? Als ich im April 85 nach Welikade verlegt wurde, hatte ich zunächst das Gefühl, in die Freiheit entlassen worden zu sein. Die schweren Folterungen hatten ein Ende. Zum ersten Mal erfuhr ich, welche Rechte ich als Gefangener habe. So stehen uns zum Beispiel drei DM Taschengeld und acht Zigaretten im Monat zu. Immer wenn sich eine Menschenrechtskommission ankündigte, wurde saubergemacht. Diese Besuche und die Tatsache, daß die Häftlinge dort eine starke Gemeinschaft bilden, haben die Zustände entschieden verbessert. Trotzdem ist es noch schlimm genug. Die tamilischen Häftlinge sind in vier Hallen a 65 qm untergebracht und in jedem dieser sogenannten „Tigerkäfige“ werden 50 bis 70 Menschen einquartiert. Das heißt, es bleibt etwa ein Quadratmeter zum Leben. Wenn einer ins Krankenhaus muß, legen sie ihm Leichen ins Zimmer und man muß neben ihnen schlafen. Auch das Essen ist unzureichend: morgens Brot und Kokosflocken, abends Reis mit Kochbananen. Oft ist es mit Sand und Steinen verunreinigt. Das ist aber gar nichts im Vergleich zum Lager Boosa, wo die Hunde durchs Essen laufen, das voller Käfer und Ungeziefer ist. In Welikade werden die Gefangenen jeden dritten Tag für eine halbe Stunde zum „Sonnenbad“ rausgelassen. Dabei bieten sich immer gute Gelegenheiten, Informationen auszutauschen und Aktionen zu organisieren. Wie ist der psychische Zustand der Gefangenen? Vor allem den Tamilen aus der Ostprovinz geht es sehr schlecht. Sie haben oft alles verloren, wissen nicht, wo ihre Familien sind. Die meisten von ihnen wurden nur verhaftet, weil ein Verwandter in einer Guerillaorganisation ist oder weil sie einem Guerillero etwas zu Essen gegeben haben. Wogegen richtet sich der Hungerstreik, der zur Zeit in Welikade durchgeführt wird? Wir fordern die Freilassung aller politischen Häftlinge oder ihre Vorführung vor Gericht. Die lankanische Regierung hat kürzlich gegenüber Indien erklärt, sie wolle alle über 40jährigen freilassen, die noch nicht verurteilt sind. Das ist reine Propaganda. Ich kenne mindestens 14 bis 16 Häftlinge dieses Alters und keiner ist freigekommen. 50 bis 60 Tamilen in Welikade sind schon länger als 18 Monate ohne Anklage inhaftiert, einige bis zu 40 Monaten. wir haben aber auch mehrfach Hungerstreiks durchgeführt, um auf die Situation in anderen Lagern aufmerksam zu machen, in denen die Gefangenen sich nicht so gut wehren können. Interview: Biggi Wolff

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