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Rebellion in argentinischer Militärgarnison

■ Meuterer fordern „großzügige Amnestie“ für Menschenrechtsverletzungen / 150.000 Menschen demonstrieren in Buenos Aires für die Regierung / Befehlsverweigerung gegen Festnahme eines der Folter verdächtigten Offiziers / Alfonsin demonstriert Entschlossenheit

Buenos Aires (afp/ap/dpa) - Die Garnison von Cordoba, zweitgrößte Stadt Argentiniens, befindet sich seit Donnerstag in offener Rebellion gegen die Regierung von Staatspräsident Raul Alfonsin und hat das Land damit in die schwerste innenpolitische Krise seit der Rückkehr zur Demokratie im Jahr 1983 gestürzt. Während Alfonsin am Nachmittag in einer Rede vor dem Parlament seine feste Entschlossenheit betonte, den in ihrer Kaserne 700 Kilometer nordwestlich von Buenos Aires verschanzten Rebellen „keine Zugeständnisse“ zu machen, bekundeten über 150.000 Menschen in den Straßen von Buenos Aires ihre Unterstützung für die Demokratie. Auch die Oppositionsparteien und Gewerkschaften stellten sich geschlossen hinter die gewählte Regierung. Ausgebrochen war die Krise am Donnerstag morgen, als der Stützpunkt des 14. Luftlande–Regiments bei Cordoba einem von der Justiz gesuchten Offizier Zuflucht gewährte und sich auf einen Belagerungszustand einrichtete. Der Offizier, Major Ernesto Barreiro, hatte sich am Mittwoch geweigert, einer Vorladung des Bundesgerichts von Cordoba zu folgen, um sich für die Menschenrechtsverletzungen während des „schmutzigen Krieges“ gegen die Opposition zu verantworten. Barreiro war während der Militärdiktatur als Leutnant für die Verhöre im Haft– und Folterzentrum „Die Perle“ in Cordoba zuständig. Ihm werden Folterungen und Mord an Gefangenen vorgeworfen. Das Bundesgericht erklärte die Weigerung Barreiras, vor Gericht zu erscheinen, zur Rebellion und ordnete seine Festnahme an. Verteidigungsminister Horacio Jaunarena schloß den Offizier unverzüglich aus der Armee aus, wie es vom Gesetz vorgesehen ist. General Antonio Fichera, Kommandant des Dritten Heerescorps, dem das 14. Luftlande–Regiment angehört, erhielt Befehl, Barreiro festnehmen zu lassen. Aus Militärquellen verlautete dazu, der Befehl habe nicht ausgeführt werden können, da „kein Offizier sich dazu bereitfand“. 15 Offiziere des Luftlande–Regiments hatten sich mit Barreiro solidarisch erklärt. General Fichera selbst weigerte sich, gewaltsam gegen die Rebellen vorzugehen. Er wolle den „Zusammenhalt des Heeres“ nicht aufs Spiel setzen. Fortsetzung auf Seite 6 Er respektiere die verfassungsmäßige Ordnung, erklärte der General weiter, aber er wolle das Problem auf friedlichem Weg lösen. Die Meuterer, die im Innenhof der Kaserne Mörsergeschütze und an den Zugängen zur Garnison Maschinengewehre in Stellung brachten, fordern eine „großzügige Amnestie“ für die Verbrechen der Militärdiktatur und den Rücktritt von Heereschef General Hector Rios Erenu, der seine Männer nicht gegen eine „blinde Justiz“ verteidige. Erenu hatte die Rebellen wiederholt zur Rückkehr zur Legalität aufgerufen. Die Bundespolizei umstellte inzwischen in Cordoba alle strategisch wichtigen öffentlichen Gebäude und die Rundfunk– und Fernsehsender. Das Dritte Heerescorps ist mit schätzungsweise 20.000 Soldaten, davon 4.000 Fallschirmjäger, die am schwersten bewaffnete Teilstreitkraft. Es gilt als das unruhigste unter den fünf Heerescorps. Nachdem sich General Erenu gegen die Rebellen gestellt hatte, gab der Stabschef der Marine, Admiral Ramon Arosa, be kannt, bei der Marine herrsche Ruhe. Sie habe mit der Rebellion nichts zu tun. Von der Luftwaffe wurde keine Stellungnahme bekannt. In seiner Ansprache vor dem Abgeordnetenhaus, die von Rundfunk und Fernsehen übertragen wurde, demonstrierte Staatspräsident Alfonsin Entschlossenheit. Er werde mit den Rebellen nicht verhandeln, er werde „keine Konzessionen“ machen. „Wir werden unser Mandat nicht verraten“, und „über Demokratie läßt sich nicht verhandeln“, erklärte er unter dem tosenden Beifall der Abgeordneten. Vor dem Parlamentsgebäude demonstrierten 150.000 Menschen. „Militärs, das Volk steht auf der Straße“, schrien sie immer wieder. Sämtliche Rundfunk– und Fernsehsender hatten die Bevölkerung zur Teilnahme an der „Demonstration gegen die Diktatur“ aufgerufen. „Euer Platz ist jetzt nicht vor dem Fernseher“, hieß es in einem Kanal. Die Krise in Argentinien erfolgt wenige Monate, nachdem die Regierung mit dem sogenannten Schlußpunkt–Gesetz der gerichtlichen Verfolgung der Verbrechen der Militärs Einhalt gebieten wollte. Das im Dezember verabschiedete Gesetz gestand der Justiz nur noch bis Februar zu, neue Anklagen zu erheben. Die Maßnahme, die als versöhnliche Geste gegenüber den Militärs gedacht war, hatte gegenteilige Folgen. Unter dem Druck der Menschenrechtsorganisationen machten sich die Richter mit bisher nicht gekanntem Eifer an die Arbeit und nutzten die kurze Zeit, um in über 216 neuen Fällen noch Anklage zu erheben - unter ihnen ist auch der Fall des Major Ernesto Barreiro.

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