: Regierungsbildung paradox in Italien
■ Der Christdemokrat Fanfani stellt ein Minderheitskabinett vor, das als Übergangsregierung geplant ist / Verschobene Fronten um Neuwahlen und Atomreferenden / Traditionelle Großindustrie und Aufklärer der High–Tech–Branche im Kampf um politischen Einfluß
Aus Rom Werner Raith
Regierungsbildung paradox: Italiens Christdemokraten bilden ein Minderheitskabinett - obwohl sie eigentlich nur Neuwahlen wollen; Sozialisten und kleinere Parteien unterstützen die schwarzen Kollegen, obwohl sie mit ihnen nicht mehr regieren wollen; die Kommunisten fürchten Neuwahlen, sind aber plötzlich dafür, weil sie weitere Vertrauensverluste fürchten. Ursache für die verschobenen Fronten: Die Anhänger der für Juni vorgesehenen Volksent scheide zum Ausstieg aus der Kernenergie müssen dem christdemokratischen Kandidaten Fanfani das Vertrauen aussprechen, denn im Falle einer Auflösung des Parlaments werden die Referenden automatisch um ein Jahr verschoben. Umgekehrt müssen die Christdemokraten, gerade um die Plebiszite zu verhindern, das ausschließlich aus DC–Ministern und DC–nahen Technokraten gebildete Minderheitskabinett Fanfani mit Hilfe ständiger Provokation der Opposition sofort wieder stürzen. Das ganze Manöver dient ihnen nur dazu, den kommissarisch amtierenden Sozialisten Craxi aus dem Amt des Kabinettschefs zu vertreiben, um dann mit „Regierungsbonus“ in Neuwahlen zu gehen. Hinter der vordergründig nur schwer verständlichen Lust an Instabilität - immerhin war Craxi fast vier Jahre im Amt - stehen die aufgrund der wie von selbst laufenden Hochkonjunktur bisher eher verdeckten schweren Kämpfe der Wirtschaftsmächte um die „Führung“ des Landes; Kämpfe zwischen den traditionellen Herrschern der Schwer–, Metall– und Autoindustrie, gruppiert um die FIAT–Familie Agnelli und den Staatskonzern IRI, gegen die Aufsteiger aus dem High–Tech– Bereich um Olivetti–Chef De Benedetti und einige Bankpräsidenten. Craxis aufsteigernahe Sozialisten profitieren von den neuen Technologien, aber auch die Grünen sind im Aufwind, seit De Benedetti den für die „Alten“ teuren Umweltschutz zum „nationalen Anliegen“ erklärt hat. Agnelli und Co bleibt so nur die kräftige Unterstützung der Öko– und Referendums–Gegner in der christdemokratischen und republikanischen Partei. Neuwahlen werden an den Kämpfen um die Vorherrschaft diesmal wohl noch nicht allzuviel ändern. Indizien, wie weit die neuen Konstellationen sich bereits im Wahlverhalten wiederspiegeln, können sie gleichwohl liefern.
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