: Der „Aleman“ im Knast von San Pedro Sula
■ In Honduras sitzt ein deutscher Unternehmer wegen „wiederholten Betrugs“ seit zwölf Monaten im Gefängnis / Er selbst hält sich für ein Opfer eines geschäftlichen Konkurrenzkampfes und meint: „Wie ich auch immer hier rauskomme - es wird nicht auf dem Weg eines ordentlichen Gerichtsverfahrens sein.“
Aus San Pedro Sula S. Strubelt
Heute bereut Theodor Liermann, nicht auf seinen Freund, den Polizeichef, gehört zu haben. Der hatte ihm vor zwölf Monaten geraten, Honduras schleunigst zu verlassen, er habe einen Haftbefehl gegen ihn vorliegen. Aber der deutsche Unternehmer dachte damals, daß sich die Anklage in wenigen Tagen als Mißverständnis herausstellen würde. Seither kämpft er gegen einen Dschungel von Korruption - und glaubt kaum noch an seine Freilassung. Am Sonntag nachmittag gleicht das Hauptgefängnis von San Pedro Sula eher einem Freizeitpark als einer Haftanstalt. Ohne Kontrollen lassen mich die Wachen passieren, als ich nach dem „Deutschen“ frage. Gleich hinter der weißen Gefängnismauer ist ein Fußballspiel in vollem Gang. Begeistert feuern die zuschauenden Häftlinge „ihre Jungs“ gegen die Mannschaft von draußen an. Auf dem einem Hochstand ähnlichen Wachturm sitzt ein Polizist und baumelt mit den Beinen. Drinnen, im Besucherraum, ist heute Tanzveranstaltung. Schmusende Pärchen wiegen sich zu karibischen Rhythmen. Der „Aleman“ sei wohl auf der Wiese, weist mir ein Häftling den Weg. Dort herrscht ein buntes Leben und Treiben. Honduranische Großfamilien, von der Oma bis zum Baby, lagern unter den Palmen und machen Picknick. Zwei Insassen verkaufen Schaschlik vom Holzkohlengrill, während ein fliegender Händler Zigaretten und Süßigkeiten feilbietet. Vor dem Bordell warten zwei junge Mädchen aus der Stadt auf Kundschaft. „Manchmal mieten wir uns ein Zimmer im Bordell“ Schließlich finde ich Theodor Liermann am Coca–Cola–Kiosk. Der Mittvierziger mit leicht schütterem Haar im weißen Tropenanzug macht einen optimistischen Eindruck. Das Leben sei hier in der Tat recht locker, bestätigt er meine ersten Impressionen aus der Haftanstalt. „Meine Frau kommt mich täglich besuchen, und manchmal mieten wir uns ein Zimmer im Bordell“, erzählt er. Weihnachten habe ihn der Direktor sogar nach Hause gefahren. „In einem Auto mit getönten Fensterscheiben, damit die Lokalpresse nicht sieht, daß der Aleman schon wieder Ausgang hat“, erinnert sich der Diplomkaufmann lachend, „und Silvester haben wir uns gemeinsam mit der Wachmannschaft so besoffen, daß die nachher die Schlüssel nicht fanden, um uns einzuschließen“. Aber die Fröhlichkeit des seit zwölf Monaten Inhaftierten ist oberflächlich. Als wir uns in die etwas ruhigere Bibliothek mit ihren vergilbten Magazinen zurückgezogen haben, gesteht er mir, daß er öfter an Selbstmord denke. Dabei habe er sich das Leben im Land der freundlichen Menschen und einsamen Palmenstrände einmal so schön vorgestellt. Vor vier Jahren heiratete Theodor Liermann eine junge, bildhübsche Honduranerin und eröffnete in San Pedro Sula, der zweitgrößten Stadt und größten Industrieansiedlung in Honduras, ein kleines Kaffee–Export–Unternehmen. Er hatte gerade angefangen, in der örtlichen Geschäftswelt Fuß zu fassen, da informierte ihn der Polizeichef der Stadt, er habe einen Haftbefehl wegen „wiederholten Betrugs“ gegen ihn vorliegen, den er aber 36 Stunden lang „vergessen“ werde. Liermann stellte sich jedoch der Polizei. Der „Betrug“ sei nur ein Mißverständnis gewesen, erklärt er: „Ich hatte einem Exilnicaraguaner für 10.000 Dollar Schecks der Bank of America ausgestellt. Ich wußte nicht, daß diese ihre Filialen in Honduras kurz zuvor geschlossen hatte.“ Heute vermutet der Unternehmer, daß hinter seiner Verhaftung tatsächlich andere Interessen standen: „Es gab honduranische Geschäftsfreunde, die mich als unliebsame Konkurrenz ansahen.“ Und tatsächlich mußte die Exportfirma Euro– Hond–Internacional zwei Monate nach seiner Verhaftung ihre Tätigkeit einstellen. Honorare und andere Rechnungen Soviel, wie der Geschäftsmann unterschlagen haben sollte, forderte schon der erste Rechtsanwalt bar auf die Hand. Liermann zahlte. Seine Frau begann, die Wertgegenstände zu verkaufen. Aber dann stiegen die Honorarfor derungen des Verteidigers ins Uferlose, und schließlich stellte dieser seine Tätigkeit ganz ein. Der „Deutsche“ traute sich bisher nicht, einen neuen Anwalt zu engagieren, denn seine Frau befürchtete Racheakte des „verschwundenen“ Juristen. Nicht zu Unrecht, wie mir ein honduranischer Richter später bestätigt. Er kenne mehrere Inhaftierte, die trotz Freispruch nicht entlassen würden, weil sie die Anwaltsrechnung nicht bezahlt hätten. „Die stecken hier alle unter einer Decke“, weiß Theodor Liermann inzwischen aus eigener, bitterer Erfahrung. „Der in meiner Sache ermittelnde Staatsanwalt hat mir auch schon angeboten, mich für 10.000 Dollar freizubekommen.“ Überhaupt könne er sich über mangelndes Interesse von Verteidigern nicht beklagen. Die Honorarvorstellungen reichen von 5.000 bis 30.000 Dollar, die Verteidigungsstrategien von Flucht oder Attestierung eines Herzleidens bis zur persönlichen Einflußnahme auf die Nationale Partei, die im derzeitigen Regierungsbündnis die Justiz kontrolliert. „Allen gemeinsam ist, daß sie im Voraus bezahlt werden wollen“, kommentiert Liermann zynisch, mittlerweile habe er vom Gericht noch nicht einmal eine Anklageschrift bekommen. „Wie ich auch immer - wenn überhaupt - hier rauskomme“, meint der Diplomkaufmann, der einmal drei Jahre internationales Recht studiert hat, „es wird nicht auf dem Wege eines ordentlichen Gerichtsverfahrens sein.“ Das erste Kriminalgericht von San Pedro Sula gibt lediglich die lapidare Auskunft, der Fall Liermann befände sich noch in der Phase der Voruntersuchung. „Demnächst“ werde es zur Ver handlung kommen. Ein honduranischer Rechtsanwalt erklärt demgegenüber, die Untersuchung in einem Fall von Betrug müßte nach spätestens zwei Monaten abgeschlossen sein. Gladys Caballero, Richterin im zweiten Kriminalgericht der Hauptstand Tegucigalpa, erläutert, Theodor Liermann sei nicht der einzige, der endlos lange auf seine Verurteilung warte. Wer keinen Anwalt zahlen könne, und das sei die Mehrzahl der Verhaf Zahl, die auch in Lateinamerika nur von der Diktatur Paraguays übertroffen wird. Und sogar in einem jüngst erschienenen Bericht des US–Kongresses wird konstatiert, daß die Justiz in Honduras immer noch von den politischen Parteien abhängig sei und der „soziale und wirtschaftliche Status“ des Angeklagten die Urteilsgebung beeinflusse. Oft ist es allerdings auch einfach die Höhe des Schmiergelds: Anfang Februar konnten zwei Kolumbianer, die die honduranische Luftwaffe im letzten Oktober mit Kokain im Wert von 500 Millionen Dollar an Bord ihres Sportflugzeugs zum Landen gezwungen hatte, legal in ihre Heimat ausreisen. Sie hatten 12.000 Dollar Bürgschaft an das Generalschatzamt der Republik bezahlt. Bohnensuppen und Gummimasken „Am Ende geht es mir noch so wie dem alten Mann da“, sagt Theodor Liermann ironisch, als wir wieder ins grelle Sonnenlicht hinaustreten. Er weist auf einen 70jährigen, der gebeugt und in abgerissener Kleidung über den Platz schlurft. Der Alte kann sich nicht mehr erinnern, wie lange er schon in Untersuchungshaft sitzt. „Die Wächter haben mich rausgelassen, damit ich betteln kann“, erzählt er uns dankbar, denn wie alle Insassen, die nicht - wie Liermann - die 25 Dollar für eine Pritsche im 30–Betten–Schlafsaal aufbringen können, ist er sonst in einer der 70–Mann–Zellen oder im winzigen Innenhof eingeschlossen. Nur bei Besuch dürfen sich die 350 Häftlinge „von unten“ so wie die 50 Bessergestellten frei auf dem Gefängnisgelände bewegen. Aber der Alte hat nur noch „Gott auf der Welt“. „Es ist so beschämend zu betteln“, gesteht er, „aber sonst würde ich hier verhungern.“ Die Gefängniskost bestehe lediglich aus zweimal Bohnensuppe am Tag. Nachdenklich gehen wir über den Gefängnisplatz. Die Traube von Besuchern hat sich aufgelöst, und in der immer noch schwülen Nachmittagshitze breitet sich gähnende Langeweile aus. Dösend sitzen einige Häftlinge, von Fliegen umschwärmt, im Schatten der Gefängnismauer. „Man lernt die Realität eines Landes wohl erst im Gefängnis kennen“, sinniert Theodor Liermann. „Früher, als ich noch im Büro saß, ist mir das alles gar nicht so aufgefallen.“ Die neu eingelieferten Häftlinge seien fast alle von der Polizei gefoltert worden, berichtet der Unternehmer. Er habe die Spuren von Schlägen und von Zigaretten, die am Körper ausgedrückt wurden, selber gesehen. „Und die Leute sagen, daß ihnen mit Gummimasken die Luft abgedreht wird.“ Liermann, der einst im Wahlkampf den heutigen Staatspräsidenten Jose Azcona unterstützt hat, ist inzwischen der Überzeugung, „daß in Honduras weiterhin nur die Militärs an der Macht sind“. Ein elegant gekleideter junger Mann lädt uns ein, doch auf einen Drink in sein „Apartment“ zu kommen. Rechtsanwalt Luis Frenzel gehört zu den wenigen Inhaftierten, die es sich leisten können, für 200 Dollar monatlich ein kleines Häuschen zu mieten. Drinnen verbreitet die Klimaanlage angenehme Frische. Frenzel hat seine Einzimmerwohnung mit einer Sesselecke, Nippes und Plastikblumen gemütlich eingerichtet. Vom Schreibtisch aus erledige er weiterhin seine Geschäfte, erzählt er. Die Freizeit vertreibe er sich mit Videofilmen. Der Rechtsanwalt ist angeklagt, vor einem Jahr einen Studenten erschossen zu haben. „Es war ein nationaler Skandal“, schildert er fröhlich, „alle Zeitungen haben gerätselt, ob es Eifersucht war.“ Aber in ein, zwei Monaten, sobald sich der „Trubel“ gelegt und sein Fall in Vergessenheit geraten sei, werde er freikommen. Er bietet uns leckeren Nußkuchen aus dem Eisschrank an. Draußen zieht eine Gruppe zerlumpter Gestalten, der abendliche Putztrupp, vorbei. Die Insassen „von unten“, die teilweise barfuß über die Steine stolpern und die liegengebliebenen Bananenschalen und Zigarettenstummel mit den Händen aufsammeln, bieten ein armseliges Bild. Nach dem Antreten geht es zurück in die überfüllten Zellen, wo sich unter den Wellblechdächern jetzt eine unerträgliche Hitze gestaut hat. Mittlerweile hat der Rechtsanwalt Theodor Liermann in eine politische Diskussion verwickelt. „Sie glauben nicht, daß Honduras eine Demokratie ist?“, fragt er erstaunt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen