: Vor 1990 sieht die IG Metall keine Sonne
■ Mit dem ausgehandelten Kompromiß zwischen Gewerkschaft und Arbeitgebern verabschiedet sich die IGM für die nächsten drei Jahre aus der Tarifpolitik / 35–Stunden–Woche frühestens Mitte der 90er Jahre
Die Streiksonne auf den Plakaten für die 35–Stunden–Woche bleibt in den gewerkschaftlichen Asservatenkammern. Da die IGM–Führung an den großen Durchbruch im Moment wohl selbst nicht glaubte, akzeptierte sie nun einen Kompromiß, der eine Reduzierung der Wochenarbeitszeit um eineinhalb Stunden bis 1989 vorsieht. Erste Reaktionen von der Gewerkschaftsbasis signalisieren im wesentlichen Zustimmung. Damit wird wohl auch in der Druckindustrie demnächst eine Einigung erfolgen.
Als einen „Sieg der Vernunft“ hat der Vorsitzende der SPD–Bundestagsfraktion, Hans–Jochen Vogel, die Einigung der Tarifvertragsparteien in der Metallindustrie bezeichnet. Vogel erklärte am Mittwoch in Bonn, die Verkürzung der Wochenarbeitszeit um eineinhalb Stunden in zwei Jahresschritten werde, wie schon die letzte Arbeitszeitverkürzung, in beträchtlicher Zahl neue Arbeitsplätze schaffen. Zudem diene es den Interessen der Volkswirtschaft insgesamt, daß eine Verständigung für einen Zeitraum von drei Jahren zustandegekommen sei. Der Kompromiß Nach 13stündigen zähen und zum Teil dramatischen Verhandlungen hatten IG Metall und Arbeitgeber in der Nacht zum Mittwoch den Durchbruch im Tarifkonflikt erreicht: Die vier Millionen Metaller bekommen ab April kommenden Jahres eine Stunde Arbeitszeitverkürzung und müssen ab 1989 nur noch 37 Stunden pro Woche bei vollem Lohnausgleich arbeiten. Der Gewerkschaftsvorsitzende Franz Steinkühler und der Präsident des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall, Werner Stumpfe, einigten sich in ihrem Spitzengespräch in Bad Homburg ferner auf Lohn– und Gehaltserhöhungen von 3,7 Prozent in diesem, zwei Prozent im nächsten Jahr und 2,5 Prozent ab 1. April 1989. Damit steht der nächste Tarifkonflikt erst in drei Jahren ins Haus. Nach dem Kompromiß sollen die Lehrlinge ab 1. April kommenden Jahres bis 1990 die 38,5–Stunden–Woche erhalten - sie mußten bislang 40 Stunden arbeiten. Wenn 1990 auch für die anderen Metaller wieder um kürzere Arbeitszeit gerungen wird, sollen die Lehrlinge aber nach Steinkühlers Darstellung den anderen Metallern gleichgestellt werden. Auch künftig werden die Betriebe die Möglichkeit haben, einzelne Betriebsgruppen länger, andere kürzer arbeiten zu lassen. Nach dem jetzt ausgehandelten Kompromiß solle die Arbeitszeit in der ersten Stufe zwischen 37 und 39,5 Stunden pro Woche differenziert werden können, vorausgesetzt, in einem Zeitraum von sechs Monaten arbeiteten alle Mitarbeiter die 37,5–Stunden–Woche. Wenn dann ab 1. April 1989 die 37–Stunden–Woche gilt, kann in einer Spanne zwischen 36,5 und 39 Stunden variiert werden. Der Pferdefuß Bislang lag der Ausgleichszeitraum, in dem die Arbeitszeit im Durchschnitt errechnet werden muß, bei zwei Monaten. Dieser Zeitraum wurde auf sechs Monate erhöht. Damit können die Betriebe in auftragsschwachen Zeiten weniger, in hektischen Wochen aber auch mehr arbeiten lassen. Die Freizeit für zuviel gearbeitete Zeit soll aber in höchstens fünf freien Tagen an einem Stück ausgeglichen werden. Die Arbeitgeber hatten in Modellen, die sie vor Beginn der Verhandlungen vorgelegt hatten, auch von Wünschen nach beispielsweise einem freien Monat bei langen Wochenarbeitszeiten in anderen Monaten gesprochen. In den regionalen Verhandlungen muß nun noch über die Sams tagsarbeit, den Monatslohn sowie die Überstunden verhandelt werden. In Düsseldorf gehen die Gespräche für die rund eine Million Metaller in Nordrhein–Westfalen am Freitag weiter. Reaktion im Druckbereich Der im Spitzengespräch von Bad Homburg erzielte Kompromiß für die Metallindustrie hat nach Auffassung des Bundesverbandes Druck „keine Pilotfunktion“ für die Tarifrunde Druck. Arbeitgebersprecher Peter Klemm erklärte im Gespräch mit ap, der Kompromiß sei „aus der Sicht der Druckindustrie unvertretbar hoch und damit nicht übertragbar“. Der stellvertretende Vorsitzende der IG Druck und Papier, Detlef Hensche, nannte den Metallkompromiß, nach dem die Wochenarbeitszeit in Stufen auf 37 Stunden gesenkt wird, dagegen ein „wichtiges Datum für die Druckindustrie“. Die Schlichtung der am Dienstag in Frankfurt gescheiterten Tarifrunde für die gut 160.000 Beschäftigten soll wie geplant am kommenden Montag in München anlaufen. Klemm begründete die Ablehnung des Metall–Kompromisses durch die Arbeitgeber vor allem mit der mittelständischen Struktur in der Druckindustrie. „Wir haben sehr arbeitsintensive kleinere und mittlere Betriebe, und für die potenziert sich die Belastung so stark, daß es keine Übertragbarkeit gibt“, sagte der Verbandssprecher. Demgegenüber betonte Hensche, für die IG Druck laufe unter eineinhalb Stunden Wochenarbeitszeitverkürzung nichts. Die Tarifverhandlungen waren am Dienstag in Frankfurt in der vierten Runde gescheitert, nachdem die Arbeitgeber angeboten hatten, die Wochenarbeitszeit ab Juli 1988 um eine halbe Stunde zu verkürzen und bis 1991 festzuschreiben. Stimmberechtigter Vorsitzender der am Montag in München beginnenden Schlichtung ist der Präsident des Bundessozialgerichts in Kassel, Heinrich Reiter. Außer ihm nehmen je sechs führende Vertreter von Arbeitgebern und Gewerkschaften an der Vermittlungsrunde teil. ap
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