Italien: Effekt im Volk

Rom (taz) - „Das Verhalten der Menschen in solchen Fällen“, bemerkt Laura Conti, Kinderärztin und „Entdeckerin“ der Giftschäden von Seveso, „ist immer gleich: Solange die Gefahr klein und beherrschbar erscheint, regen sie sich auf, sobald sie übergroß ist, verdrängen sie sie.“ So auch im Fall der „nube“, der radioaktiven Wolke aus Tschernobyl. Solange sie im Norden waberte, war die Presse und die Politik voll mächtiger Besorgnis; kaum kam sie, Anfang Mai 1986, auch in Italien an, übten sich alle in Beruhigungsstrategien. Dabei ist es, was die offizielle Politik anbetrifft, geblieben - trotz vieler Erinnerungsartikel, die seit Wochen an „Cernobyl“ erinnern. Dennoch ist Italien wohl das einzige Land, wo sich nach Tschernobyl nachhaltig etwas bewegte: die gerade rechtzeitig während des „Wir sind nochmal davongekommen“–Gefühls angesetzte Kampagne der Grünen und der großen Umweltschutzverbände sowie der kleinen Radikalen und Demoproletarischen Partei für einen Volksentscheid gegen alle Kernkraftwerke des Landes. Sofort kamen mehr als eine Million Unterschriften zusammen. Das Referendum ist für Juni angesetzt; und obwohl Christdemokraten und Republikaner es mit Hilfe der vorzeitigen Beendigung der Legislaturperiode um neun Monate verschieben dürften, wird es das Aus für die AKWs bedeuten. Werner Raith