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Bürgerdaten frei von der Müllkippe

■ Im Landkreis Diepholz fanden Naturschützer auf der Müllkippe Wohngeldbescheide, Lohnsteuerkarten, vertrauliche Sitzungsprotokolle und personenbezogene Daten / Das sei „bei den wenigsten Behörden anders“

Von Klaus Wolschner

Im Landkreis Diepholz holte die Polizei am späten Sonntag nachmittag den Kreisrat Dr. Schroer auf die Müllkippe Aschen. Im Hausmüll hatten sich dort Naturschützer und Grüne in alten Behörden–Unterlagen umsehen können und die interessantesten Stücke eingesammelt, bevor sie der Polizei den Tip gaben: Wohngeldanträge und Zahlungs–Aufforderungen lagen da bunt durcheinander zwischen alten Coladosen, Zigarettenstummeln und einer langen Computerliste über die Überweisungen der Stadt. Protokolle des vertraulichen Verwaltungsausschusses fanden sich neben Lohnsteuerkarten und Bauanträgen mit Architekten–Skizzen, alles in blauen Müllsäcken frisch angeliefert. Der Diepholzer Stadtdirektor Hintze erklärte dazu, die Stadt habe vor anderthalb Jahren einen Reißwolf angeschafft. Der sei al lerdings viel zu klein. Die nicht mehr benötigten Dokumente, allesamt höchst aktuell, gelangen so auf den Müll. Das sei „bei den wenigsten Behörden“ anders, versicherte der Oberstadtdirektor. Nicht verstehen kann er allerdings, daß auch Computerlisten mit detaillierten Angaben darüber, was an welchem Tag an wen warum gezahlt wurde, in unbefugte Hände gelangen konnten. Denn Computerlisten, so haben ihm seine Bediensteten versichert, „gehen generell und selbstverständlich durch den Reißwolf“. Die Liste vom 16. April 1987 liegt in der Bremer taz–Redaktion auf dem Tisch, die vom 14. April wurde einem Anwalt übergeben. Zwei Wochen vor Ostern hatten Naturschützer die Fundgrube Aschen entdeckt. Bei ihrer Suche nach Kröten stolperten die Naturschützer über die Behördenbriefköpfe. Drei Wochen später sahen sie noch einmal nach und fanden drei Säcke voller Behörden–Papiere mit personenbezogenen Daten. Herr N. hat seine Rundfunkgebühren seit 1984 nicht bezahlt, der Vollstreckungsbescheid vom 3.4.87 summiert DM 376,25. Wohngeldbescheide, datiert bis zum 21.4., fanden sich dort, ein Bekleidungsbeihilfe–Bescheid in Höhe von 605 Mark vom 22.4.87... „Hier stinkts nach öffentlicher Verwaltung“, meinte Helmut Delle von den örtlichen Grünen am Sonntag bei der Besichtigung des Datenmülls: „Um den Bewohnern unseres Kreises vorzuführen, wie gut ihre persönlichen Daten bei der Verwaltung aufgehoben sind, sollten wir Bustouren hierher organisieren - mit Kaffee und Kuchen.“ Die Frage, wie das Vertrauen der Landkreis–Bewohner in den Schutz ihrer Daten gesichert werden könne, gerade angesichts der bevorstehenden Volkszählung, weiß der Oberstadtdirektor Hintze klar zu beantworten: Es gebe die „strikte Anordnung“, meinte er zur taz, daß alle nicht mehr benötigten Datenblätter durch den Reißwolf gehen.

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