: Reinosa steht für viele spanische Regionen
■ Der Verlust von Arbeitsplätzen und das Eingreifen der Zivilgarde versetzen eine Stadt in Angst / Kommunisten hoffen auf Stimmenzuwachs / Indem sie Züge anhalten und Streiks organisieren, haben die Einwohner große Publizität erreicht
Aus Reinosa Isabel Reth
„Nicht einmal mehr in unserer eigenen Stadt können wir uns versammeln, ohne vorher unsere Kinder einschließen zu müssen, um sie vor den Gummigeschossen und Rauchbomben der Guardia Cicil zu schützen.“ Mercedes Valdes hat wie die meisten Bürger/innen des kantabrischen Städtchens Reinosa Angst davor, daß sich die gewalttätigen Aktionen der Guardia Cicil vom Gründonnerstag wiederholen. Die örtliche Bevölkerung war auf dem Weg zu einer Versammlung im Stadtpark von der Guardia Civil mit brutaler Gewalt auseinandergetrieben worden. „Sie rasten mit ihren Panzern mit 100 Stundenkilometern durch die Stadt, zerstörten Schaufenster und zündeten mit ihren Rauchbomben unsere Geschäfte an“. Reinosa, exemplarischer Schauplatz des Konfliktes um die Wirtschaftspolitik der spanischen Regierung, liegt 70 Kilometer von Santander entfernt in einem idyllischen Tal am Rande der „Picos de Europa“, der „spanischen Schweiz“. Bei der Abfahrt fallen sofort die zwei größten Industrieanlagen ins Auge, der staatliche Metallbetrieb Forjas y Acero und der zum Westinghouse–Konzern gehörende Betrieb Cenemesa, die den Zündstoff für die Auseinandersetzungen in Reinosa liefern: Bei Forjas sollen 463 Arbeitsplätze abgebaut werden, bei Cenemesa 180. „Es geht um unser Leben, um unser tägliches Brot“, begründet ein Schreibwarenhändler die Unterstützung der Bürger/innen Reinosas im Kampf gegen die Arbeitslosigkeit. Sie befürchten, daß ihre Stadt nach und nach verarmt. Der Abbau von 900 Arbeitsplätzen während der letzten Jahre hat sich direkt auf den Handel und den Dienstleistungssektor ausgewirkt: die städtische Klinik wurde geschlossen, der Einzelhandel kann sich nur mit Schwierigkeiten halten. „Wir leben von den Arbeitern. Wenn die Industrie weiterhin entläßt, kann ich meinen Laden dichtmachen“, befürchtet der Besitzer einer Cafeteria. Von der Arbeitslosigkeit besonders betroffen sind die Jugendlichen: Mehr als 80 vertretene Gewerkschaft „Comisiones Obreras“ fordert deshalb neben der Rücknahme der geplanten Entlassungen ein Programm zur Schaffung neuer Arbeitsplätze: Reinosa soll von der Madrider Zentralregierung zur „dringend zu reindustrialisierenden Zone“ erklärt werden, um durch staatliche Unterstützung private Investitionen zu fördern. Konfrontationen Nach Bekanntwerden der ersten Entlassungen kam es im letzten Dezember zu einem Generalstreik. Der Schnellzug „Talgo“ wurde 6 Wochen lang regelmäßig festgehalten, um auf die Situation in der Region aufmerksam zu machen. „Das alles wurde von der Presse und den Politikern übergangen“, meint der Sprecher von Comisiones Obreras. „Erst seit am 12. März der Direktor von Forjas eine Nacht lang durch Arbeiter festgehalten wurde, berichtet die Presse täglich über Reinosa.“ Auch am Mittwoch ist die Situation in der Stadt gespannt. Die Belegschaft des Metallbetriebes Cenemesa hat erneut zu einer Versammlung im städtischen Park aufgerufen. Teilnehmen sollen Vertreter der kantabrischen Parteien und Gewerkschaftsvertreter. Mittags strahlt das regionale Fernsehen die Nachricht aus, daß der Regierungsbeauftragte für die Region Kantabrien die Versammlung verboten hat. Die Einzelhändler/innen vernageln ihre Schaufenster mit Preßspanplatten - die Zentralregierung scheint über den für die Guardia Civil zuständigen Delegierten den Kon frontationskurs beizubehalten. Um halb vier kündigt Hubschrauberlärm den Schnellzug von Santander nach Madrid an. Nach den letzten Schienenblockaden wird der „Talgo“ in der Umgebung von Reinosa täglich von einem Polizeihubschrauber eskortiert. Diesmal kehrt er jedoch nicht an seinen Standort zurück, sondern kreist unaufhörlich über Reinosa. Auch die im Tal stationierten Hundertschaften der Guardia Civil haben sich mit ihren Panzern und Mannschaftswagen in Richtung Reinosa in Bewegung gesetzt. Angst macht sich breit. Am Gründonnerstag wurde ein Vertreter von Comisiones Obreras durch die Guardia Civil so schwer verletzt, daß noch immer um sein Leben gefürchtet wird. Doch die Politikerpräsenz und die Einleitung von Gerichtsverfahren nach den Ausschreitungen an Ostern tun ihre Wirkung: Die Guardia Civil schreitet diesmal nicht mit Gewalt ein. Die Parteienvertreter nutzen die Situation für Wahlkampfreden gegen die Sozialisten - am 10. Juni finden in Spanien Kommunal– und Regionalwahlen statt. „In Reinosa ist die Regierungspolitik im Moment am deutlichsten für die Bevölkerung spürbar geworden“, begründet der Vorsitzende der kantabrischen Kommunisten Angel Agudo den lokalen Widerstand. Die Nr. 1 des Wahlbündnisses „Izquierda Unida“ hofft, daß die spanische Linke die verschiedenen Konfliktbereiche zu einer sozialen Bewegung koordinieren kann. „Das Klima in Reinosa ist nicht einzigartig. In Spanien gibt es in Zusammenhang mit der Stahlindustrie und dem Bergbau verschiedene Konfliktzonen. Der hartnäckige Widerstand der Bevölkerung Reinosas wird zum Symbol für andere Regionen werden.“
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