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Unkraut in Jaruzelskis Garten

■ Polnische Graswurzelbewegung lädt zu einem internationalen Friedenskongreß ein / Regierung verweigert Einreisevisa für ausländische Prominenz aus Ost und West

Die Bewegung „Freiheit und Frieden - Wolnosc i Pokoj „ macht in Polen weiter von sich reden. Über 300 Vertreter von Friedens– und Umweltbewegungen aus Ost und West haben sie nach Warschau eingeladen - unter ihnen Andrei Sacharow, Petra Kelly und Max Frisch. Ab Donnerstag sollen die Gäste dort über den „Internationalen Frieden und das Helsinki–Abkommen“ diskutieren. Zum ersten Mal soll eine von unabhängigen Gruppen organisierte Diskussion ganz offen in einem Land des Warschauer Pakts stattfinden. iese Aktivitäten sind Ausdruck einer neuen oppositionellen Szene in Polen, die zum Teil legal arbeitet wie der „Ökologische Club“ in Krakau, oder als illegale Gruppe offen auftritt wie „Freiheit und Frieden“.

Berlin (taz) - Die „Kinder von Solidarnosc“, die ihre politische Tätigkeit im Rahmen von „Freiheit und Frieden“ erst vor zwei Jahren aufgenommen haben, sind schon jetzt zu einem innenpolitischen Faktor geworden. Das erste Anliegen dieser Protestbewegung war die Kriegsdienstverweigerung. Als der ehemalige Studentenführer Marek Adamkiewicz im Herbst 1984 den Fahneneid verweigerte und zu einer Gefängnisstrafe von zweieinhalb Jahren verurteilt wurde, protestierten bekannte Oppositionelle wie Jacek Kuron, aber vor allem Jugendliche in einer Kirche in der Nähe von Warschau mit einem Hungerstreik. Im Mai 1985 begann sich die Organisation zu bilden, als Juristen in einem Protestbrief das Urteil der Gerichte kritisierten. Im Herbst 1985 schließlich sandten 28 Wehrdienstpflichtige ihre Dienstausweise an das Verteidigungsministerium zurück und forderten die sofortige Freilassung des Inhaftierten. Seither hat sich die Organisation zwar nur mit etwa 300 festen Mitgliedern in den großen Städten der Volksrepublik ausgebreitet, ihre Aktivitäten jedoch machen den Behörden mehr und mehr Kopfschmerzen. Denn längst hat sich die Gruppe auch anderer Themen angenommen. Beachtliche Erfolge der „Kinder von Solidarnosc“ Am 29. April 1987 z.B. protestierten Mitglieder der Gruppe in Posen gegen den Bau des zweiten polnischen Atomkraftwerks in Klempicz an der Warthe. Im Februar organisierten sie Protestversammlungen in Krakau gegen die Folter in Afghanistan und griffen damit eine Kampagne von amnesty international auf. Besonders erfolgreich waren ihre Aktivitäten in Wroclaw, wo es ihnen gelang, die Öffentlichkeit gegen die Hütte Siechnice zu mobilisieren, die das Grundwasser und die Luft der Stadt verseucht. Die Behörden haben zugesichert, die Hütte zu schließen. Nach Tschernobyl gelang es ihnen, in Wroclaw, Krakau und Danzig mehrere tausend Menschen auf die Straße zu bringen. Die Gruppe kann es für sich als Erfolg verbuchen, daß die Regierung in Reaktion auf ihre Forderungen eine Befreiung von der Wehrpflicht aus Gewissensgründen nicht mehr ganz ausschließt - bisher sind allein Krankheitsgründe zugelassen. Als Teil der Friedensbewegung beharrt die Gruppe auf der Einhaltung der Menschenrechte in allen politischen Systemen, weil sie Frieden und Freiheit als untrennbar ansieht. Die Gruppe zeichnet sich dadurch aus, daß sie, obgleich illegal, offen auftritt - ein Novum für die polnische Opposition, die nach Ausrufung des Kriegsrechts in den Untergrund gedrängt worden war. Damit setzen sich die Mitglieder ständig der Repression der Staatsgewalt aus und riskieren Verhaftungen, Verfolgungen, Überwachungen, Berufsverbote und Gefängnisstrafen. Seit aber die politische Führung sich im letzten Herbst zur Freilassung der politischen Gefangenen entschlossen hat, die auch die Freiheit für die jetzigen Sprecher Jacek Czaputowicz und Piotr Niemzcyk brachte, hat sich das Vorgehen der Staatsorgane verändert: Nach ihren Aktionen werden die Freiheits– und Friedenskämpfer zur Kasse gebeten. Strafen von über 50.000 Zloty (zwei Monatslöhne) sind keine Seltenheit, inzwischen summieren sich die Bußgelder auf fast zwei Millionen. Doch die Organisation will wie bisher weitermachen. Der internationale Kongreß, bisheriger Höhepunkt ihrer Politik, ist ein Versuch, die Grenzen für unabhängige Aktivitäten auszuweiten. Gezielte Behinderung Die Regierung steht damit unter Entscheidungszwang. Sie könnte den Kongreß verhindern, und für diese Absicht spricht einiges: Durch einen Brief an das Episkopat drohten die Behörden der Kirche Sanktionen an, wenn das Seminar wie vorgesehen in kirchlichen Räumen stattfindet, eine Drohung, die bisher ohne Wirkung blieb; die mögliche Einreise einiger ausländischer Teilnehmer wurde schon im Vorfeld durch Visaverweigerung und Reiseverbote unterbunden. Andrej Sacharow wird sich auf das Schreiben eines Briefes beschränken müssen. Wolfgang Templin aus OstBerlin wurde von der DDR die Ausreise verweigert. Wie es Vertretern der Charta 77 aus der CSSR ergangen ist, bleibt noch im Dunkeln. Anzunehmen ist, daß es wohl keiner von ihnen nach Warschau schafft. Noch sind die Absichten des Regimes unklar. Um den Kongreß völlig zu verhindern, müßte es die Polizei einsetzen. Das aber brächte der Gruppe weitere Publizität und würde einmal mehr die Reden Jaruzelskis über eine Öffnung und Demokratisierung des Regimes als reine Propaganda entwerten. Halten die Behörden sich aber zurück, wäre in Polen ein Präzedenzfall für die Zukunft geschaffen. Zum ersten Mal würde dann eine, wenn auch kleine, polnische Öffentlichkeit ohne die Bevormundung durch die Partei über politische Überlebensfragen mit Menschen aus Ost– und West öffentlich diskutiert haben. Zweifellos ein Erfolg, der nicht nur für die polnische Opposition von großer Bedeutung ist. er/luwa

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