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400 konfuse Experten

■ Die von Albrecht geladenen Giftmüll–Experten verständigten sich darauf, daß alles unklar ist

In zwei Minuten war sie aufgebaut: Die graue Mauer aus siebzig Betonsteinen, die den Haupteingang zum Tagungsort, dem Trade–Center auf dem hannoverschen Messegelände, blockierte. Blitzschnell hatten die Aktivisten von der niedersächsischen Arbeitsgemeinschaft der Giftmüll–BIs aus den vorher numerierten Steinen den Schriftzug „Giftmüllhearing - eine Farce“ zusammengefügt, der einen blaugrauen Totenkopf umrahmte. 30 BI–Vertreter, die immer betonten, daß sie „ein solches Hearing selbst gefordert“ hatten, protestierten dagegen, daß „diese Expertenanhörung nur noch eine Alibiveranstaltung für längst getroffene Entscheidungen“ sei. Die drei großen Vs „Vermeiden, Vermindern, Verwerten“ stellte Umweltminister Remmers in den Mittelpunkt seines Einführungsvortrages. Herbert Sutter vom Bundesumweltamt wies noch ganz im Sinne der BIs in seinem Einführungsreferat nach, daß 50 bis 60 von Produktionsrückständen vermieden werden kann. Doch schon beim Einstieg in die Diskussion begann die Konfusion. Niemand von den Experten wußte, wieviel Giftmüll in Zukunft anfallen wird, ja es war nicht einmal klar, was überhaupt unter Gift zu verstehen sei und in Zukunft Sondermüll sein werde. Wenn man das Recycling beim Hausmüll konsequent vorantreibe, so bleibe von diesem auch nur noch Giftmüll übrig, war z.B. die einhellige Meinung. Da galt dem Lünener Unternehmer Beckmann der Abfall einfach als das Produkt, bei dem das Wegwerfen billiger ist als das Wiederverwerten, und der Greenpeace–Chemiker Michael Braungart nannte gleich darauf die Abfallbeseitigung „eine der am besten versteckten Subventionen für die Industrie“. Schließlich seien Abfälle nichts anderes als nicht vermarktungsfähige Produkte und auch die Kosten für die Beseitigung dieser Produkte müsse der Erzeuger übernehmen und nicht etwa die Allgemeinheit. „Hier ist eine Diskussion gelaufen, die ich als Vermeidungsstrategie für Problemlösungen bezeichnen möchte“, empörte sich schließlich Herbert Sutter, der das Einführungsreferat gehalten hatte. Bald danach brachen die vierhundert führenden Experten auf, um erst einmal in den Wülfeler Brauereigaststätten ihre Köpfe mit Bier und Schlachteplatte von der Diskussion zu entsorgen.

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