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Die Sumpfblüte der Szene

■ Die Zeitschrift Radikal ist durch die permanente Verfolgung durch die Staatsanwaltschaft praktisch vernichtet / Andere Publikationen füllen die Lücke

„Meinungsfreiheit ist radikal“ titelte die taz am 3.3.1984 - zwei Tage zuvor waren die Journalisten Michael Klöckner und Benny Härlin als Mitherausgeber der Radikal zu 2 1/2 Jahren Haft verurteilt worden: wegen Werbung für eine terroristische Vereinigung und öffentlicher Billigung von Straftaten. So sehr sich die Mittel der Repression 1984 und 1987 gleichen, so unterschiedlich sind die politischen Bedingungen, in denen sie ausgeübt wird. Die Entwicklung des Verhältnisses der Öffentlichkeit zur Radikal hat etwas von einem Lehrstück: Parallel zur Verengung des politischen Spektrums der Radikal und ihrer immer stärkeren Fixierung auf das antiimperialistische und teilweise autonome Spektrum wurde einer breiteren Öffentlichkeit auch die Verfolgung und Repression gegen das Blatt egal. Die Radikal, die zu Hausbesetzerzeiten ein Blatt war, das den Spaß an der Revolte und ein Stück Widerstandskultur ausdrückte, hat heute von der bürgerlichen Presse nicht einmal mehr einen Bruchteil der Unterstützung zu erwarten, die 1984 Benny Härlin und Michael Klöckner in ihrem Verfahren noch zuteil wurde. Von einem Angriff gegen die Pressefreiheit spricht heute, wo die Existenz der Zeitschrift so gut wie vernichtet ist, niemand mehr. Inhaltliche Verengung führte zu öffentlichem Desinteresse Die Verfahren gegen die Buchläden und Handverkäufer/innen sind aufgrund des 2. Teils der Radikal Nr. 132 eröffnet worden, in dem, nach dem Desaster der Brokdorf–Demonstration am 7. Juni 1986 und der ständig wachsenden Anzahl von Anschlägen gegen die Infrastruktur der Atomindustrie, die Perspektive militanten Widerstands diskutiert wurde. Der Beschlagnahmebeschluß der Bundesanwaltschaft stützt sich auf zahlreiche Textstellen. „Wir grüßen die Genossen/innen aus der Stadtguerilla, die Siemens–Vorstandsmitglied Beckurts liquidiert haben. Siemens steht für Beteiligung an SDI, Europäisierung, MIK, AKW–Forschung, Umstrukturierung, Ausbeutung weltweit“, heißt es beispielsweise in einem kleinen Kasten auf der Rückseite des Blattes. Für die Bundesanwaltschaft reicht das für den Vorwurf „Unterstützung der RAF“. In der Zeitschrift, die nach zahlreichen Beschlagnahmeaktionen in früheren Jahren nur noch über das Ausland zu beziehen war, gab es aber auch differenziertere Stellungnahmen zum bewaffneten Kampf und den unterschiedlichen Konzepten von Revolutionären Zellen, RAF und Autonomen. In der Ausgabe 131 beispielsweise gab es ein Interview mit RAF–Mitgliedern über den Mord an dem US–Soldaten Pimental, verbunden mit der Veröffentlichung eines Kritikpapiers an dieser Aktion. Auch Diskussionen um den Sinn der Hungerstreiks und den Zwang zur Solidarisierung sind in der „Radikal“ geführt worden. Ein wichtiges Element waren auch die meistens recht detaillierten Anleitungen zu Sabotageaktionen: Wer wissen wollte, wie ein Sprengzünder gebaut werden kann, welche Firmen am Bau der WAA beteiligt sind und worauf man sinnvollerweise achtet, wenn man sich am Pipeline– System der NATO vergreift, war mit einem Radikal–Abonnement recht gut bedient. Das weitere Schicksal der Radikal ist ungewiß Die „Radikal“ hat sich von der letzten Verfolgungswelle nicht mehr erholt. Zwei Schriften dieses Titels kursieren zwar seitdem in der Szene, beide bleiben aber vom Umfang her deutlich hinter früheren Radikal–Ausgaben zurück. Die „Radikal–Provinzausgabe“ besteht vor allem aus einer Zusammenstellung alter Artikel. Die Hersteller des Radikal–Info plädieren zwar für den Ausbau von Untergrundstrukturen , wollen sich allerdings auch nicht „auf das militante Spektrum beschränken“. So findet sich in der Nr. 1 immerhin eine wenigstens in Ansätzen kritische Bewertung der letzten Anschläge der RAF: „Hingegen von Braunmühl mag hohe Verantwortung getragen haben - ganz offensichtlich war er aber keineswegs vergleichbar mit einem Beckurts. Die relative Ungenauigkeit des Angriffs hat der RAF offensichtlich geschadet, und das zu recht“. Ob das allerdings für eine Ausweitung der Leserkreise reicht, darf bezweifelt werden, zumal es mit Aktion, Unzertrennlich oder wildcat mittlerweile auch wieder radikale Zeitungen, die (noch) nicht so massiv kriminalisiert werden, gibt.

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