: Zertifizierter Bürgerschreck
■ Dieter Kunzelmann erfreut sich in Berlin einer ungebrochenen Popularität
„Das ist doch was“, sagte der Richter, als er am 27. April die polizeiliche Vorführung Kunzelmanns anordnete. „Das hat er doch gewollt.“ Daß ein Amtsrichter in Moabit aus solch intimer Kenntnis der Bedürfnisstruktur eines Angeklagten heraus Beschlüsse fassen kann, liegt weniger an der Weisheit des Gerichts als an der ungebrochenen Popularität des Angeklagten. Dieter K., (48) in bewegteren Zeiten auch als „Ede“ bekannt, hat eben überall Fans. Als er 1970 nach längerem Abtauchen festgenommen wurde, fand man in seiner Wohnung - „Unterschlupf“ hieß das damals - Fotos, die von seiner Verkleidungslust und -kennerschaft zeugten. Auch sein Paß versuchte, falsche Tatsachen vorzutäuschen: Er wies ihn als Wolf–Ulrich Schimmang aus Leer in Ostfriesland aus. Es dauerte geraume Zeit, bis „Ede“ einräumen mußte, Dieter Kunzelmann zu sein. Als Mitglied der ideenreichen Kommunune 1, als mutmaßlicher Brandstifter, als verhinderter Pudding–Attentäter auf Hubert Humphrey, erlebte der Bamberger in Berlin 68 und die Folgen. Vor vielen Gerichten und in fünf Jahren Haft erprobt, firmiert Dieter K. nun auch von Gerichts wegen als „Aktionspolitologe“. Seine Haftstrafen setzten sich aus so vielen kompliziert nachvollziehbaren Vorwürfen, unbelegt gebliebenen vermeintlichen Straftaten und zum Teil simpelen Beleidigungen zusammen, die dann zu summarischen Strafen aufgerechnet werden, daß es heute noch ein Alptraum ist, die kriminelle Vergangenheit des Dieter Kunzelmann in einen Satz fassen zu müssen. Von seinen fünf Jahren, das jedenfalls ist gerichtskundig, saß er drei Jahre unschuldig ab. In Haft näherte er sich der KPD an, als deren Kandidat er bei den Wahlen 1975 Freigang bekam. Aber ins Abgeordnetenhaus kam Dieter Kunzelmann erst 1983 für die Alternative Liste, deren Gründungsmitglied er ist. Dort blieb er zwei kurze Rotationsjahre lang, in denen selbst zu später Stunde gestandene Ordnungspolitiker der CDU– FDP–Koalition ihren Stammplatz im Casino räumten, wenn die durchdringende Stimme des Abgeordneten Kunzelmann Mutterwitz, Einfallsreichtum und Animation ins Hohe Haus brachte. Wann immer sich Kunzelmann der Polizei stellen wird, einen Ausweis braucht er nicht mitzunehmen. Freund und Feind erkennen ihn an den Bügelfalten in den Blue Jeans und dem penetranten Bambergisch, das er durch die Zeitläufe hindurch nie abgelegt hat. Nur Springers Morgenpost fiel vor ein paar Jahren auf ein Tonband herein, das angeblich aufrührerische Reden des Ex–Kommunarden zu Gehör brachte - und dafür ihren Lesern nicht nur eine Gegendarstellung, sondern auch einen Widerruf an prominenter Stelle des Blatts zumuten mußte. Dieter Kunzelmann ist in Berlin immer für eine Schlagzeile gut. Und weil seine Biographie, vor allem deren justiznotorischer Teil, so verwickelt ist, gewinnt er leicht Prozesse gegen Leute, die ihn zu leichtfertig mit dieser oder jener Bombe und dieser oder jener Fraktion der Nach– 68–Ära in Verbindung bringen wollen. Den Prozeß gegen sich und drei taz–Redakteure sieht Kunzelmann als den überfälligen Beitrag zur 750–Jahr–Feier an. Daß die Sonderkommission Lietze bei ihren Korruptionsermittlungen „auf so ziemlich alles stieß, was das Strafgesetzbuch hergibt - außer der Vorbereitung eines Angriffskrieges“, wie ihr Chef öffentlich äußerte, möchte er bei der Würdigung der jüngsten Berliner Vergangenheit gebührend hervorgehoben wissen.
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