: Kirchenbesetzung in Ost–Berlin
■ DDR–Basisinitiativen planen Alternative zum offiziellen Kirchentag / Für den „Kirchentag von unten“ soll eine Ost–Berliner Kirche besetzt werden
Aus West–Berlin Clara Roth
Wenn die evangelische Kirche der DDR Ende Juni ihren seit langem mit großem Aufwand vorbereiteten Kirchentag in Ost–Berlin eröffnet, wird irgendwo in einer Ost–Berliner Kirchengemeinde ein anderes denkwürdiges Ereignis stattfinden: In einer besetzten Kirche soll dann der erste „Kirchentag von unten“ beginnen. Veranstalter und Besetzer werden Friedens–, Menschenrechts–, Ökologie– und Dritte–Welt– Gruppen aus allen Gegenden der DDR sein, Basisgruppen mit unterschiedlichsten Arbeitsschwerpunkten und Weltanschauungen. Mit ihrer Gegenveranstaltung wollen sie ihren Protest gegen „das Bonzenspektakel“ deutlich machen. Um ihren pompösen Kirchentag im 750. Jubiläumsjahr Berlins feiern zu dürfen, habe sich die Kirchenleitung zum Handlanger des Staates machen lassen, monieren die Initiativen, die ihre Inhalte im Programm des offiziellen Kirchentages überhaupt nicht berücksichtigt sehen. Mit der demonstrativen Gegenveranstaltung zum Kirchentag gehen die Basisgruppen erstmalig auf offenen Konfrontationskurs mit der Kirchenleitung, obwohl sie auf ein gutes Verhältnis mit ihr angewiesen sind. Da die Versammlungsfreiheit nur in der Verfassung der DDR, nicht jedoch in der Praxis existiere, suchen die oppositionellen Gruppen unter dem Dach der Kirche Schutz vor staatlicher Repression. Im „Freiraum“ der Kirchengemeinden können die Initiativen mit ihren Treffen und Aktionen eine - wenn auch eingeschränkte - Öffentlichkeit erreichen. In den letzten Monaten, im Laufe der Vorbereitungen zum Kirchentag, hatte die Kirchenleitung den Bewegungsraum der Basisgruppen systematisch eingeschränkt. Während die Kirchenoberen mit den staatlichen Funktionären verhandelten, um öffentliche Räume und Plätze für die Großveranstaltung zugestanden zu bekommen, spürten die Basisgruppen immer mehr den Druck von oben. Als die Kirchenleitung auch noch die alljährlich im Sommer stattfindende „Friedenswerkstatt“ der Basisinitiativen im Jubiläumsjahr verbot, beschlossen die Gruppen, nicht länger zu kuschen, sondern sich zur Wehr zu setzen. Wenn die Kirchenleitung nicht doch noch einlenkt und freiwillig Räume zur Verfügung stellt, soll die Kirche mit anderen Mitteln bei ihrem Anspruch gepackt werden, „Freiraum“ für all jene zu sein, die von der sozialistischen Gesellschaft an den Rand gedrängt werden: Eines der elf Ost–Berliner Kirchenzentren wird besetzt und für die Dauer des offiziellen Kirchentags zum Zentrum des alter nativen „Kirchentags von unten“ erklärt. Betonkurs gegen die Basis Ein Vorbereitungskreis, der den „Kirchentag von unten“ organisiert, hat sich schon vor Monaten gegründet. Zu den Treffen in Ost–Berlin kommen trotz der langen Anfahrtswege regelmäßig Leute aus der ganzen DDR. Neben Frauen–, Friedens–, Menschen rechts–, Umwelt– und Dritte– Welt–Gruppen sind diesmal besonders viele Gruppen der „offenen Arbeit“ der evangelischen Kirche vertreten, die seit Anfang des Jahres nicht mehr gut auf die Kirchenleitung zu sprechen sind: Jahrelang hatten sie für die Jugendlichen angemessene Räume gesucht. Eine leerstehende Kirche am Ost–Berliner Prenzlauer Berg sollte mit Zustimmung der Kirchenleitung zum - zumindest in Ansätzen– selbstorganisierten Jugendzentrum werden. Im März wurde die Kir che plötzlich verkauft, so daß sich die offenen Jugendgruppen auf Dauer mit anderen Gruppen in engen Gemeinderäumen werden arrangieren müssen. „Die wollen die offene Arbeit abdrosseln, die fahren den Betonkurs gegen uns“, schimpft ein Mitglied des Vorbereitungskreises über die Kirchenleitung. Daß die Kirche gleichzeitig „Millionen verschwendet“, um „Renommierobjekte wie den Dom oder neue Verwaltungsgebäude“ oder den 60.000 Mark teuren Rollrasen für den Abschlußgottesdienst des Kirchentages zu finanzieren, stößt auf harsche Kritik der Basis. Den tiefsten Graben zwischen Kirchenleitung und Basis dürfte das Verbot der seit 1982 jährlich in Berlin stattfindenden „Friedenswerkstatt“ aufgerissen haben. Die „Friedenswerkstatt“ war eine der wenigen Treff– und Konferenzmöglichkeiten der DDR–Basisgruppen. Weit über 100 von ihnen waren im letzten Jahr in Ost–Berlin zusammengekommen. Im großen Garten einer Kirche konnten die Gruppen ihre Stände aufbauen, ihre Arbeit vorstellen, miteinander diskutieren. Schon damals war es zu Reibereien gekommen, als der Ost–Berliner Superintendent Krusche die Infostände inspizierte und mißliebige Beiträge eigenhändig von den Stellwänden entfernte: Eine Dokumentation über osteuropäische Friedengruppen, ein Flugblatt über Tschernobyl und Infoblätter über Wahlmanipulationen stießen auf sein Mißfallen. Einige Zeit später verschickte der Superintendent einen offenen Brief an die Kirchengemeinden, der nicht nur von den Basisgruppen als „Kniefall vor dem DDR– Staatsratsvorsitzenden“ verstanden wurde. Mit Hinweis auf die „angespannte politische Situation“ im Jubiläumsjahr wurde die „Friedenswerkstatt“ verboten. Krusche beklagt in seinem Schreiben das „fehlende Vertrauen“ zwischen Kirchenleitung und Basisgruppen und fordert daher eine „Denkpause“. Die Basisinitiativen fühlten sich verkauft: Durch Wohlverhalten gegenüber der SED, durch Gängelung der aufmüpfigen Basis wolle die Kirchenleitung offenbar ihr Kirchentagsspektakel sichern. Den Basisinitiativen hatte der Superintendent in seinem Schreiben empfohlen, sich am offiziellen Kirchentag „im Rahmen der Gemeinden zu betätigen“. An einigen Vorbereitungstreffen des Kirchentages haben die Vertreter von Basisgruppen dann auch teilgenommen. Nur mußten sie feststellen, daß das Programm feststand. „Die brauchten nur noch Statisten. Es war klar, die machen ihr Ding, und wir konnten unsere Konzepte alle wieder einpacken“, berichtet R., der jetzt den „Kirchentag von unten“ vorbereitet. Nach einigen Diskussionen beschlossen die Gruppen, lieber die offene Konfrontation mit der Kirchenleitung zu suchen, als den Konflikt noch länger unter der Decke zu halten. „Wenn wir jetzt nachgeben, sind wir weg“, meint R. Die „Spielwiese“, die die Kirche den Gruppen zugestehe, werde immer kleiner. Und Ausweichmöglichkeiten gibt es nicht. Alle Versuche von Basisgruppen, sich außerhalb des schützenden Rahmens der Kirchengemeinden zu betätigen, sind bisher schnell zerschlagen worden. Diejenigen, die ihren Protest offen auf die Straße trugen, wie vor vier bis fünf Jahren die Mitglieder des Jenaer Friedenskreises, bekamen die staatliche Repression umgehend zu spüren: Schläge für die, die sich an den Friedensdemonstrationen beteiligten, später dann Verhaftungen und erzwungene Ausreisen in die Bundesrepublik. Nach den damaligen Massenverhaftungen und Ausreisewellen auf dem Höhepunkt der DDR– Friedensbewegung haben sich die oppositionellen Gruppen wieder mehr in den Schutz der Kirche zurückgezogen. Wenn es ihnen jetzt nicht gelinge, den Repressionskurs der Kirchenleitung zu stoppen, werde es bald überhaupt keine Möglichkeit mehr für Gruppen geben, sich für politische Inhalte zu engagieren, für die in der realsozialistischen Gesellschaft kein Platz vorgesehen ist, befürchten die Basis– Aktivisten. „Wir müssen uns den offenen Konflikt mit der Kirchenleitung leisten“, meinen sie. „Die Polizei werden sie nicht holen“ Ein Thema des „Kirchentags von unten“ steht angesichts der Konflikte schon fest. „Wir wollen unsere Erfahrungen mit der Kirche aufarbeiten“, kündigt W. an, eine „Fundamentalkritik“ an der Kirche soll geleistet werden. In Arbeitsgruppen soll der „hierarchische und bürokratisch aufgeblähte Apparat“ der DDR–Kirche unter die Lupe genommen werden, um dann über Konzepte einer basisdemokratisch organisierten Kirche zu diskutieren. Die anderen Arbeitsgruppen auf dem „Kirchentag von unten“ sind den „vier Kriegen“ und dem Engagement dagegen gewidmet: Friede, Ökologie, Dritte Welt und „der allgemeine Krieg gegen die Menschen innerhalb der Systeme“. Der „Kirchentag von unten“ solle kein „Spektakel werden, wo wir mal die Luft ablassen“, faßt R. zusammen. „Wir wollen dort unsere Auffassung von Kirche demonstrieren.“ Daß die Kirchenleitung die Polizei zu Hilfe holen wird, um die Besetzer aus den Gemeinderäumen fernzuhalten, glaubt in der Vorbereitungsgruppe niemand. „Das können die sich nicht leisten“, erklärt C. Lange Zeit habe sich die Kirche als „Beschützerin der Friedensbewegung“ profiliert. „Die Kirchenleitung hat ihren Ruf zu verlieren, wenn sie die Bullen holt.“ Von der DDR–Kirchenleitung waren zunächst nur spärliche Reaktionen bekannt geworden. Als zwei Basis–Aktivisten während der Synode Ende April die Empore der Kirche erklommen und Flugblätter mit der Ankündigung des „Kirchentags von unten“ auf die Synodalen fallen ließen, reagierte der Ost–Berliner Bischof Forck mit einer knappen Erklärung: Er „bedaure“ die Entscheidung der Basisgruppen, einen eigenen „Kirchentag von unten“ zu veranstalten. Man hätte besser im Gespräch bleiben sollen. Schlichtungsangebot Zwei Wochen nach der öffentlichen Ankündigung der Besetzung versucht die Kirchenleitung jetzt offenbar doch noch einzulenken. Am 19. Mai wurde durch den West–Berliner Landesdienst des Evangelischen Pressedienstes (epd) die Nachricht verbreitet, die Kirchenleitung habe das Verbot der „Friedenswerkstatt“ aufgehoben. Unter bestimmten Bedingungen sei sie bereit, die „Friedenswerkstatt“ während der zehntägigen offiziellen „Friedensdekade“ im November stattfinden zu lassen. Alle Beiträge müßten allerdings vorher mit der Kirchenleitung verbindlich abgesprochen werden. Inhaltlich müsse „der biblische Bezug des Bemühens um Frieden, Gerechtigkeit und die Bewahrung der Schöpfung deutlicher herausgestellt werden“. Die Basisgruppen reagierten auf das Angebot mit einer Todesanzeige in einer ihrer internen Zeitungen: „Nach langer schwerer Krankheit verschied kürzlich im Alter von fünf Jahren die Friedenswerkstatt. Die Nachricht erreichte uns in Form einer konzeptionellen Überlegung. Das, was sich nach dieser Konzeption den Namen Friedenswerkstatt anmaßt, hat mit der in ihrem kurzen Leben von uns engagiert begleiteten teueren Toten offensichtlich nichts mehr zu tun.“ Die Ablehnung des „Schlichtungskonzepts“ scheint die Kirchenleitung zu weiteren Zugeständnissen zu bewegen. Wenn die Gerüchte stimmen, die zur Zeit in den Basisgruppen heiß gehandelt werden, dann soll der Ost– Berliner Bischof Forck in Kürze einen Vorschlag zur Güte unterbreiten, um eine Störung des Kirchentages zu verhindern und um die aufgescheuchten Gemeindepfarrer zu beruhigen, die befürchten, ihre Kirche könne Opfer der Besetzung werden, und doch noch „freiwillig“ Raum für den „Kirchentag von unten“ bereitstellen.
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