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I N T E R V I E W „Realos verwalten Besitzstände“

■ Thomas Schmid, Vordenker der Ökolibertären bei den Grünen, über das Frankfurter Treffen der Grünen Realpolitiker / Fundis führten „die Kämpfe von gestern noch einmal“

taz: Immer wieder wird derzeit die drohende Spaltung der Grünen an die Wand gemalt. War das Realotreffen in Frankfurt hierfür ein Ausdruck? Thomas Schmid: Überhaupt nicht. Kein Wort hat eine so große Rolle gespielt wie das Wort „Einheit“ und zwar in einem doppelten Sinn: Einheit in der Partei insgesamt, bis weit in das sogenannte fundamentalistische Lager hinein. Darüber hinaus wurde die Einheit innerhalb des realpolitischen Lagers auf Kosten der Inhalte beschworen. Kannst Du Inhalte nennen, an denen dieses Dilemma, Beschwörung der Einheit statt kontroverser Diskussion der Inhalte, deutlich wurde? Zwei Beispiele. Es muß darüber diskutiert werden, ob die Grünen nur eine Perspektive haben, wenn sie sich eindeutig als sozialökologische Partei links von der SPD verorten und von sich sagen, daß sie letztlich doch eine sozialistische Partei sind. Oder erkennen die Grünen, daß die Karten heute neu gemischt werden und sie eine Partei sind, ein Ferment, das diesen Neuzusammensetzungsprozeß in erster Linie mitbefördert. Diese, wie ich finde, für das Überleben der Grünen absolut notwendige Diskussion ist bei dem Realo–Treffen nicht geführt worden. Der zweite wichtige Punkt ist die Frage der Demokratie. Diskutiert werden muß über die Kritik an dieser Demokratie, die mangelnde Transparenz, Durchlässigkeit und Beteiligung zum Beispiel. Nach innen gewandt: die Partei, die angetreten ist, anders sein zu wollen als die anderen Parteien, hat innerparteilich diesen Anspruch noch in keiner Weise eingelöst. Welche linken Traditionen möchtest Du denn zu den Grünen mit rüberretten? Die Mehrheit der grünen Mitglieder kommt aus der linken Tradition. Natürlich muß einiges davon hinübergerettet werden: das Plädoyer für die bürgerlichen Freiheiten, jenes Verständnis von Demokratie, in dem das Widerstandsrecht eine zentrale Rolle spielt. Bleiben muß auch das prinzipielle Plädoyer für Minderheiten und ihre Entfaltung und Ausdrucksmöglichkeiten. Woran liegt es deiner Meinung nach, daß die Grünen ihre Meinungsführerschaft in der Öffentlichkeit verloren haben? Zum einen ist die Führungsriege der Fundis ein völlig vernagelter Verein von Leuten, die Kämpfe von gestern noch einmal führen. Ihre Vorstellungen sind im Grunde davon geprägt, daß es eine gewaltfreie Aufstandsbewegung gegen dieses System geben müßte, und das steht in gar keiner Weise in dieser Gesellschaft zur Debatte. Und die Realos sind in gewisser Weise faul geworden, verwalten nur noch Besitzstände und trauern dem abgekürzten Weg an die Macht nach, den sie einmal in Hessen unter besonderen Bedingungen durchexerzierten, und den sie jetzt knapp verloren haben. Sie verweigern sich der Diskussion darüber, welche Innovationen diese Gesellschaft braucht. Da kommt einfach nichts.

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