: Bonner Null Null mit Bedingungen
■ Koalition einigt sich auf „doppelte Null–Lösung“ / Bedingung: Pershing Ia nicht in die Verhandlungen einzubeziehen / SPD und Grüne kritisieren die Benennung des Flugkörpers als „Drittwaffensystem“
Aus Bonn Ursel Sieber
Nach wochenlangem Lavieren hat sich die Bonner Koaltionsregierung gestern auf eine gemeinsame Haltung zur sogenannten „doppelten Null–Lösung“ verständigt und dabei Kunststücke in neuer Mathematik vorgeführt: Formal unterstützt die Bundesregierung zwar jetzt auch eine Null–Lösung bei den Mittelstreckenwaffen kürzerer Reichweite (500 -1.000 km), klammert jedoch die einzige landgestützte Atomrakete, die es in diesem Reichweiten–Bereich auf westlicher Seite gibt, die Pershing Ia, aus. Wörtlich heißt es in der Erklärung der Bundesregierung: „Die Bundesregierung bleibt dabei, daß wie bisher die 72 Flugkörper vom Typ Pershing Ia der Bundeswehr nicht Gegenstand der laufen den Verhandlungen sind und auch nicht werden können.“ Gleichzeitig spricht sich die Bundesregierung dafür aus, alle landgestützten Atomraketen mit einer Reichweite von 0 bis 1.000 km in die Verhandlungen einzubeziehen und bekennt sich dabei auch zur doppelten Null–Lösung: „Ein erster Schritt wäre eine global geltende Vereinbarung der Vereinigten Staaten von Amerika und der Sowjetunion, daß sie in Zukunft keine Mittelstreckenflugkörper kürzerer Reichweite (500–1.000km) haben werden.“ Dieses Bekenntnis zur doppelten Null–Lösung würde demnach nur auf östlicher Seite Null bedeuten: Die Sojwetunion müßte etwa 130 sojwetische Atomraketen des Typs SS–12 mod (Reichweite ca. 900 km) abziehen; die Pershing Ia würde bleiben und, sollte die Bundesregierung an ihren bisherigen Plänen festhalten, durch eine Pershing Ib ersetzt werden. Soweit bisher bekannt, handelt es sich bei dieser Pershing Ib um eine „abgebaute“, d.h. um eine Brennstufe gekürzte Pershing II–Rakete. Die Trägersysteme für die Pershing Ia befinden sich in Besitz der Bundeswehr, während sich die atomaren Sprengköpfe in amerikanischer Verfügungsgewalt befinden. Seit Beginn der Debatte um Doppel–Null bezeichnet die Bundesregierung die Pershing Ia als „Drittwaffensysteme“ - eine Sprachregelung, der sich die USA bisher angeschlossen haben. Von Seiten der Grünen und der SPD ist der Versuch der Bundesregierung, die Pershing Ia als „Drittatomwaffe“ behandeln zu lassen, wiederholt heftig kritisiert worden. Der grüne Abgeordnete Mechtersheimer sprach von dem Wunsch, „die Bundesrepublik zumindest politisch–psychologisch als atomare Mittelmacht, neben Großbritannien und Frankreich, aufzuwerten“. Die Sowjetunion hat Ende April die Einbeziehung der Sprengköpfe für die Pershing Ia gefordert. Der Sicherheitsberater des US–Präsidenten, Frank Carlucci, bezeichnte diese Forderung sofort als „völlig unanehmbar“ und machte deutlich, daß von Seiten der USA Trägersysteme und Sprengköpfe der Pershing Ia als Einheit betrachtet würden. Auch in der Erklärung der Bundesregierung sind Sprengköpfe und Trägersysteme gemeint, obwohl lediglich von „Flugkörpern“ gesprochen wird. Dies wurde von Sprechern des Verteidigungs– und Außenministeriums gestern gegenüber der taz ausdrücklich bestätigt.
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