: BRD als Atommacht?
„Wir sind mit der Regierung der USA und den übrigen Bündnispartnern der Auffassung, daß die 72 Pershing1a Raketen mit ihren amerikanischen Sprengköpfen nicht in eine amerikanisch–sowjetische Null–Lösung eingeschlossen werden können. Die Bundesregierung bleibt dabei, daß wie bisher die 72 Flugkörper vom Typ Pershing1a der Bundeswehr nicht Gegenstand der laufenden Verhandlungen sind und auch nicht werden können.“ Klare Worte des Kanzlers in der gestrigen Regierungserklärung, die allein den Hinweis vermissen lassen, warum die „deutschen“ Pershing1a in den Verhandlungen eigentlich tabu sein sollen. Einen Hinweis darauf lieferte Kohl bereits in seiner Regierungserklärung Anfang Mai zum selben Thema. Darin wies Kohl das sowjetische Verlangen, die Sprengköpfe der Raketen in Genf mitzuzählen, mit dem Argument zurück, dies würde den Verhandlungsrahmen sprengen: In Genf gehe es „ausschließlich um amerikanische und sowjetische Träger– und Abschußvorrichtungen“, und „nicht um Systeme Dritter“. Ein bemerkenswerter Einwand. Schließlich sind die Pershing1a kein „Drittstaatensystem“: Das, was die Pershing1a zu Atomraketen macht, die Raketenspitzen mit den Atomsprengköpfen, ist in der Verfügungsgewalt der amerikanischen Armee. Nur die 72 zugehörigen Trägersysteme gehören den deutschen Militärs: Die Bundeswehr darf sie warten und in eigenen Einheiten mitführen. Die Pose der Atommacht Kohl jedoch rechnete die Atomsprengköpfe ohne Wimpernzucken zu den deutschen Trägersystemen und lehnte beides ab. Seitdem agiert diese Regierung ungeniert in der Pose eines NATO–Landes, das, analog zu Frankreich und Großbritannien, „seine“ Atomwaffen bei den Genfer Verhandlungen nicht zur Disposition stellen möchte. In der Öffentlichkeit stießen solche Redensarten kaum auf Kritik, obgleich damit Tabus gebrochen wurden und innenpolitisch der Boden für Entwicklungen bereitet wird, an deren Ende die Bundesrepublik als wirkliches Mitglied im Club der Atomwaffenstaaten dastehen könnte. Formal besitzt die Bundesrepublik keine eigenen Atomwaffen. Konrad Adenauer, der erste Kanzler, hat im Oktober 1954 auf der Londoner Konferenz für die Bun desrepublik die Verpflichtung ausgesprochen, „in ihrem Gebiet keine Atomwaffen, biologischen und chemischen Waffen herzustellen“ - als Voraussetzung für die Aufnahme in die NATO. Adenauer selbst hebt in seinen Memoiren ausdrücklich hervor, daß dieser Verzicht damals nicht auf Dauer gemeint war: Er verweist auf US–Außenminister Dulles, der ihn sofort gefragt habe, ob er diese Erklärung „nur rebus sic stantibus“ gemeint habe. Adenauer bestätigte ihm, was im Völkerrecht ohnehin üblich ist: Die Verbindlichkeit solcher Erklärungen entfällt, falls ein wichtiges Staatsinteresse berührt ist. Der erste Anlauf Schon wenige Jahre später berief sich der gerade zum Verteidigungsminister ernannte Franz–Josef Strauß immer wieder auf diesen Nuklearverzicht, um daraus abzuleiten, daß nur die „Herstellung“, nicht aber „Besitz“ und „Gebrauch“ von Atomwaffen den Westdeutschen verboten sei. Freilich schoß Strauß damals über das Ziel hinaus. Die deutsche Atombombe war noch nicht durchsetzbar. Durchsetzbar dagegen war die atomare Teilhabe der BRD. Als die Sowjetunion gleichzog, und die USA ihr Atomwaffenmonopol verloren, beschlossen sie, in Westeuropa „taktische Atomwaffen“ zu stationieren. Ein Krieg in Europa sollte zwar atomar geführt werden, aber regional begrenzbar bleiben; für Berlin wollten die USA nicht Washington „risikieren“. Das war der Anfang der „Glaubwürdigkeitskrise“ der NATO–Strategie; und die Einwände von CDU–Politikern und Militärs gegen die Null–Lösung zeugen zuletzt von den Versuchen, die USA über Pershings und Cruise Missiles wieder „anzukoppeln“. Angesichts der Ausstattung amerikanischer Verbände mit Atomwaffen jammerte man in der Adenauer–Regierung bald über den Nuklearverzicht als Diskriminierung. Im Dezember 1956 forderten Frankreich und die Bundesrepublik die USA auf, ihre Armeen jeweils mit Atomwaffen auszurüsten. Wenige Monate später bezeichnete Adenauer die taktischen Atomwaffen kurz als „Weiterentwicklung der Artillerie“, und ergänzte: „Selbstverständlich können wir nicht darauf verzichten, die neueste Entwicklung mitzumachen.“ Schon 1963 erhielt die Bundeswehr die ersten atomaren Trägersysteme. Sie sind längst wieder ausrangiert und ersetzt durch die Pershing1a. Heute ist die Pershing1a das Symbol der atomaren Teilhabe. „Die Bundesrepublik Deutschland trägt durch Beteiligung an Nuklearstreitkräften der NATO mit nuklearfähigen Einsatzmitteln im Kurz– und Mittelstreckenwaffenbereich Chancen und Risiken solidarisch mit, sichert sich Mitwirkung im nuklearen Planungs– und Konsultationsprozeß und trägt damit zur Fähigkeit der NATO bei, Abschreckung zu erhalten oder wieder herzustellen“, heißt es voller Stolz im Bundeswehrplan 1987 in der Rubrik „Aufgaben im Rahmen der nuklearen Teilhabe“. So ist es kein Wunder, daß es der Union schwer fällt, die Pershing1a herzugeben. Jetzt bereitet der Union großes Kopfzerbrechen, daß die Pershing1a zur Verschrottung ansteht, weil die amerikanische Firma Martin Marietta die Versorgung mit Ersatzteilen 1991 einstellen möchte. Daher ist der Ersatz durch die Pershing1b geplant, eine Pershing2–Rakete mit einer Antriebsstufe weniger. Der Ersatz der Pershing1a wird im Bundeswehrplan 1987 ausdrücklich gefordet. Dabei wird auch auf die Beschlüsse der Nuklearen Planungsgruppe aus dem Jahre 1983 von Montebello verwiesen, die keineswegs nur die offiziell propagierte Reduzierung, sondern auch eine Modernisierung der Atomwaffen in Europa vorsahen. Doch die Unionsabgeordneten, die gegen die doppelte Null–Lösung waren, sind fürchterlich am Schimpfen: Die Ausklammerung der Pershing1a sei nichts wert, heißt es, weil die Regierung die Einführung einer Nachfolgerakete innenpolitisch gar nicht durchstehen könne.
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