: Kohl sprach - der Gipfel staunte
■ Der Kanzler will Schiffe in den Atlantik schicken, um den USA am Golf zu helfen / Gipfel–Show endet heute
Aus Venedig Werner Raith
Angesagt war die Versammlung der Staats– und Regierungschefs der sieben größten westlichen Industriestaaten als „Wirtschaftsgipfel“; dann beschlossen die Amerikaner, daß das Treffen (so Reagans Kabinettschef James Baker) „der Welt die volle Handlungsfähigkeit unseres Präsidenten zeigen soll“ - nun aber hat das venezianische Meeting alle Chancen, als „Kohl–Gipfel“ in die Geschichte einzugehen. In der Tat hören deutsche Journalisten seit Montag abend fast nur noch die Frage, was denn diesmal wieder in den „Tolpatsch vom Rhein“ (ein Kollege von der RAI) gefahren ist, dem japanischen Premier Nakasone eine „verstärkte Präsenz deutscher Kriegsschiffe im Atlantik“ anzukündigen - während gleichzeitig die Delegationen der Sieben eine von den Engländern angeregte Resolution „Frieden im Golf“ verabschiedungsreif machen und nebenan die Sicherheitsberater Reagans in ihrer Pressekonferenz „diplomatische, keinesfalls aber militärische Unterstützung“ einfordern. Regierungssprecher Ost hat alle Mühe, die Sache als „rein hypothetisch“ zu erklären, als „Entlastung für den Fall eines erhöhten amerikanischen Engagements im Golf“. Die bisher auf dem angeblichen „Wirtschaftsgipfel“ verabschiedeten Resolutionen haben mit Wirtschaft nichts zu tun. Das erste vom gastgebenden italienischen Ministerpräsidenten Fanfani am Dienstag verlesene Dokument befaßt sich mit dem „Verhältnis zwischen Ost und West“ und gibt kund, daß „die Sieben mit größter Aufmerksamkeit die innen– wie außenpolitische Entwicklung in der Sowjetunion beobachten und hoffen, daß der bereits beschrittene Weg der Abrüstung von Atomwaffen fortgesetzt wird“. Die Entschließung zur „Golf–Krise“ reklamiert im wesentlichen die „Freiheit der Schiffahrt auf allen Weltmeeren“ und schiebt die „überaus wünschenswerte Friedenslösung zwischen Iran und Irak“ der UNO zu: „Sie möge so schnell wie möglich die ihr geeigneten Maßnahmen zur Beendigung der kriegerischen Handlungen ergreifen.“ Fortsetzung auf Seite 2 Der dritte gemeinsame Beschluß schließlich ist dem „internationalen Terrorismus“ gewidmet - Fluggesellschaften von Ländern, die Entführer, Bombenleger und geklaute Flugzeuge nicht zurückgeben, sollen künftig in keinem der sieben Staaten mehr landen dürfen. Durch die Sprengstoffanschläge in Rom hat dieses Thema eine überraschende zusätzliche Aktualität bekommen. Bleibt für die Wirtschafts–Fans die Hoffnung auf das Schlußdokument, das am Mittwoch vorgestellt werden soll. Darüber verbreiten Delegationsmitglieder aller Länder allerdings bereits wahre Weihrauchschwaden: Mit 40 Seiten soll es das längste in der Geschichte der bisherigen zwölf Gipfel sein, noch dazu „präzise bis ins kleinste Detail“; auch soll es auf lange Haltbarkeit ausgelegt sein. Worin die Präzision bestehen könnte, weiß man allerdings auch in „eingeweihten“ Kreisen nicht so genau - präzise scheint allenfalls die Absicht, die Finanzminister und Notenbankpräsidenten der Sieben zu mehr Fleiß anzuhalten: Sie sollen sich künftig drei– bis viermal pro Jahr treffen und auch so eine Art Beschlußgewalt bekommen. Wieweit sich die einzelnen Länder künftig an solche Beschlüsse halten werden, müssen dann freilich wohl wieder die Regierungschefs untereinander aushandeln. Wahrscheinlich erst beim nächsten Gipfel 1988 in Kanada.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen