: Italien vor der Wahl: Showkämpfe total
■ Die ehemaligen Koalitionspartner nennen einander „Erfinder von Lügenmärchen“, „pubertäre Raufbolde“ und „Schwafelbanden“ / Nur die Grünen bringen inhaltliche Themen ins Spiel / PCI fällt als Opposition aus
Aus Rom Werner Raith
„Das Kampfgetös war fürchterlich - herrje, da liegtn Brief für mich“ - der schöne Satz des unsterblichen Schmierendirektors aus dem „Raub der Sabinerinnen“ gehört, seit ihn Satyricon zitiert hat, zur „geflügelten“ Kennzeichnung des Wahlkampfes anno 87 in Italien: Noch nie waren die Parteien so zerstritten, noch nie sind sie so bösartig miteinander umgesprungen wie diesmal. Ob der sozialistische Parteichef Bettino Craxi seinen christdemokratischen Kollegen (und bisherigen Koalitionspartner) Ciriaci De Mita als „Erfinder von Lügenmärchen“ hinstellt oder der seinerseits Craxi als „völlig vertrauensunwürdig“ abkanzelt; ob der republikanische Ex–Verteidungsminister Spadolini De Mita und Craxi gleichermaßen „pubertäre Raufbolde“ nennt oder der Sozialdemokrat Franco Nicolazzi rundum die Note „Schwafelbande“ für seine ehemaligen Koalitionspartner verteilt - Versöhnung, so scheint es, ist längst nicht mehr möglich, kein einziges Thema bietet Verständigung für selbst nur zwei der fünf bis März angeblich unverbrüchlich miteinander verbundenen Partner. Sogar den Handschlag untereinander vermeiden sie, wo immer möglich, gemeinsame Auftritte fehlen völlig; stattdessen verkehren die Parteihäuptlinge - siehe „Raub der Sabinerinnen“ - nur noch schriftlich miteinander, meist als Leserbriefschreiber oder durch Presseerklärungen. Gemeinsamer Nenner allerdings: Die Kommunisten, mit 30 Prozent stärkste Oppositionspartei, kommen nur dann in den Wahlreden der anderen vor, wenn sie sich ausnahmsweise gerade mal aufgerafft und zum tausendsten Mal etwas von einer „demokratischen Alternative“ gebrummelt haben - die, da sind sich alle einig (wahrscheinlich auch der PCI selbst), soll jedenfalls nicht stattfinden. Um so lächerlicher wirken die bösartigen Schlagabtäusche der bisherigen Koalitionspartner untereinander - soll der PCI außen vor bleiben, wird die bisherige Fünfergruppe wohl nach der Wahl am 14./15. Juni wieder miteinander regieren. Wahlkampf 1987: Italiens Jahrmarkt eitler Selbstdarstellungen von Politikern und sie umgebnden Schranzen stellt diesmal alles Bsherige in den Schatten. Oft haben die Parteien ihre „Paradiesvögel“ gerade als Konterkarierung von Kandidaten der Konkurrenz ausgewählt. Marco Pannella z.B., Gründer der kleinen „Radikalen Partei“, zieht mit dem Pornomodell „Cicciolina“ als Parlamentskandidatin durch die Lande, läßt diese oben ohne um Stimmen werben und verkauft dies als „Antwort auf die Obszönität der Christdemokraten, den Chef des militä rischen Generalstabs und einen internationalen Drogenschieber auf ihre Liste zu setzen“. So ganz unumstritten ist das freilich selbst in Pannellas Partei nicht - die Feministinnen darin haben Cicciolinas Kampagne bereits als „Titten– Wahl“ verurteilt. Was machts, sagt Pannella, „wir haben halt nicht so viel Geld wie die Neofaschisten“ (die tatsächlich speziell die lokalen Fernsehsender rund um die Uhr mit Werbeeinschaltungen belegt haben) - „Cicciolina aber sichert uns kostenlose Medienaufmerksamkeit“. Auf der Strecke geblieben ist bei all dem Getöse nahezu jeglicher politischer Inhalt - seit Wochen hat keine Zeitung mehr „auch nur den Schatten eines Programms“ (Il Giornale) bei einer der bisher im Parlament vertretenen Parteien entdecken können. Angesagt ist stattdessen bis zum Chauvinismus herabgedrückter Nationalismus (“Forza Italia“ lautet der Slogan der Christdemokraten; „Cresce lItalia“, Italien wächst, hat die PSI das für ihre High–Tech–Klientel ins Ökonomische übersetzt und auf ihre Plakate gedruckt.) Umfragen prognostizieren bisher einen starken Verfall der beiden „Großen“, DC (von 33 bei den letzten Wahlen auf 27–29 PCI (von 30 auf 26–28 leichte Zunahme der Sozialisten (von 11 auf 12–13 teien: Neofaschisten zwischen sechs und sieben, die drei bisherigen Mitregierer Liberale, Sozialdemokraten und Republikaner jeweils zwischen drei und fünf Prozent. Größere Gewinne sollen die „ganz Kleinen“ erzielen, etwa Pannellas Radikale (bisher zwei Prozent) oder die ebenfalls überwiegend mit spektakulären Aktionen werbenden 1,5–Prozent–Demoproletarier um Mario Capanna (er schipperte während des Venedig–Gipfeltreffens mit einer Gondel durch alle Absperrungen und zeigte eine Reagan–Karnevals– Maske - „unser Pendant zur Landung auf dem Roten PLatz“, rief er den Kameras zu). Die meiste Angst verbreitet jedoch eine Gruppierung, die erstmals bei landesweiten Wahlen auftritt: die Grünen; sie werden allen bisherigen Parteien kräftig Stimmen abnehmen. Prognosen geben ihnen zwischen drei und fünf Prozent. Der Grund für ihre wachsende Beliebtheit besteht dabei weniger in ihren „geborenen“ Themen - Umweltschutz und Umweltschützer haben mittlerweile alle Parteien kräftig in ihre Programme und Listen integriert. Gefahr droht eher von der Tatsache, daß die Grünen als einzige wirklich inhaltlich argumentieren - und dies nicht nur auf der ökologischen Ebene oder mit Hilfe des von ihnen maßgeblich durchgesetzen Referendums gegen die Kernenergie (das wegen der Neuwahlen ausgesetzt wurde - ein herrliches Themen–Geschenk für den Wahlkampf): „Grüne Politik“ bedeutet in Italien bereits eine echte „Alternative“ zum bisherigen parlamentarischen Betrieb um Ämterschacher und Einrücken in Ministerposten. „I Verdi“ stehen für das Verlangen, in Institutionen nicht Posten zu bekleiden, sondern „diejenigen zu unterstützen, die schon auf unserer Seite sind“, wie Gianfranco Amendola, militanter „grüner“ Amtsrichter in Rom, erklärt. Als Zeichen für solche Haltung z.B. kandidiert Amendola - dessen Wahl sicher gewesen wäre - selbst nicht, sondern bildete zusammen mit anderen bekannten Grünen einen „Garantieausschuß“, der bereits bei der Kandidatenauswahl aufpaßte, daß die nicht „bloß auf Karrieren aus sind, ansonsten aber keinerlei grüne Kompetenz mitbringen“ (Amendola). Sie könnten damit zur einzigen wirklich „innovativen Kraft“ im neuen Parlament werden - „jedenfalls dann“, so der Physiker und Spitzenkandidat in Rom Matteoli, „wenn wir uns nicht, wie leider viele vor uns, in das Machtkartell einbinden lassen“. Ansätze dazu hat es freilich schon gegeben - in Sizilien wurden bereits Grüne Stadträte in mafiose Firmen abgeworben. Amendolas „Garantieausschuß“ richtet sich daher auf sein Weiterbestehen auch nach den Wahlen ein.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen