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Serie Bauern und EG (7)"Lieber die Mafia als die EG"

■ Bauern im italienischen "Mezzogiorno" - die "Fußkranken" der Gemeinschaft? / Wegen Importdruck: EG–Norm oder Pleite

Wenn Antonio di Preda, 64, Kleinbauer in der Gemeinde Mussomeli in Innersizilien, auf seine eineinhalb Hektar Land blickt und dann über seine wirtschaftlichen Verhältnisse zu sprechen beginnt, entschlüpft ihm zu allererst der Stoßseufzer: „Wenn wir nur den guten alten Genco noch hätten!“ Genco hieß mit vollem Namen Giuseppe Genco Russo und war bis zu seinem Tod 1977 so etwas wie der Oberste aller „klassischen“ (also bäuerlichen) Mafiosi Siziliens - Nachfolger des legendären „Don“ Calogero Vizzini, der in der Nachbarstadt Villalba geherrscht hatte und der 1954 noch mit dem Seufzer „Das Leben ist wunderbar“ sanft entschlafen konnte. Die beiden, Vizzini und Russo, stehen bei vielen Bauern im Inneren Siziliens noch heute für eine umfassende Ordnung und Fürsorge. „Wir hat ten nicht viel, aber es reichte, und wir hatten es sicher“ - eine Sicherheit, die sie heute längst verloren sehen. Schuld - da sind sich alle einig - sind „die da in Rom“, vor allem aber ein diffuses Etwas, das in Italien CEE heißt und Cäh ausgesprochen wird - Comunita Econimica Europea. Die EG gilt den Menschen hier als Symbol der Desorganisation und der Lebensangst, der Unsicherheit und der Willkür. „Keiner weiß vom einem Jahr zum anderen, woran er ist“, sagt Antonio, „und obwohl mein Sohn lesen kann und jeden Tag die Zeitung studiert, kriegt man nie heraus, wie nächstes Jahr die Vorschriften sind.“ Kein Wunder, daß sie da den alten Mafiosi nachtrauern. In der Erinnerung war das Leben damals zwar hart, aber ohne wirkliche Existenzsorgen. Die „Ehrenwerten“ in dieser Gegend, meist Landpäch ter im Auftrag von Großgrundbesitzern und somit auch Vermittler von Arbeit, wirkten als Regulativ: Sie verteilten nicht nur die Aufträge, sorgten für die Bestellung des Bodens und die Verteilung der Ernte, wobei sie sich notfalls vermittels Drohung oder eigener Schlägerbanden freilich den Großteil davon abschnitten, sie stellten auch sicher, daß es Abnehmer für die Erträge gab, auf den Märkten von Caltanisetta, Enna, Palermo oder Corleone. Auch dort war manchmal Gewalt „vonnöten“, aber das sahen die Bauern hier als selbstverständliches Pendant zum Druck an, unter dem auch sie standen. Doch die alten „Capi“ starben aus, die Mafia wurde immer mehr zu städtischen Bauspekulations–, Drogen– und Waffenschieberfirmen, die einst lückenlos bestellten Äcker und Haine Innersiziliens verfielen. Viele Menschen zogen in die Stadt, die Älteren wie auch Antonio aber bleiben, notgedrungen, weil sie sonst nirgendwo Arbeit bekämen. Sie haben sich seither mit jenem Moloch „CEE“ auseinanderzusetzen. Antonio baut etwas Getreide an und Gemüse, hat ein paar hundert Quadratmeter mit Olivenbäumen bepflanzt und bestellt einen gepachteten Weinberg - allerdings viel weiter „unten“, denn die Gemarkung Polizzello, wo er seine eigenen Flure hat, läßt mit ihren fast 800 Metern Meereshöhe keine Reben zu. So wie Antonio fristen um Mussomeli mehr als vierhundert Bauernfamilien ihr Leben. „Wir hören ab und zu etwas von EG–Zuschüssen“, erzählt ein ehemaliger Gemeinderat namens Calogero, „und in den größeren Städten ziehen sie da auch Gelder an Land. Aber seit Genco Russo nicht mehr lebt...“ Russo hatte seinerzeit die von Kommunisten und Agrarreformern gegründeten Kooperativen mit Gewalt zerschlagen lassen und eigene Genossenschaften gegründet, mit teilweise mehr als 40.000 Mitgliedern, wunderlicherweise ein Vielfaches der Einwohnerzahl der Ge gend. Das brachte das Anrecht auf viel, viel Geld aus Rom und später aus Brüssel; wieviel, kann man daraus ermessen, daß er bei seinem Tod umgerechnet an die zehn Millionen Mark hinterließ und die Bauern sich dennoch bis heute „göttlich bedient“ fühlten mit dem, was er ihnen abgegen hatte; heute fehlt auch dieses Almosen. Seit der Unterzeichnung der Römischen Verträge vor 30 Jahren haben in Sizilien - mit ungefähr viereinhalb Millionen Einwohner und 21.000 Quadratkilometern etwa Hessen vergleichbar - an die 20.000 Bauernhöfe dichtgemacht, weil es kaum Abnehmer für die Erträge mehr gibt. Selbst der Markt von Palermo, der ganze Stadtteile durchzieht und reich ist an Obst, Gemüse und Fleisch wie eh und je, lebt faktisch nur noch von Produkten, die aus Frankreich und Israel, Spanien und Griechenland zu Preisen geliefert werden, die jegliche Profite für „Normalbauern“ längst haben verschwinden lassen. Besser dran ist da Antonios Vetter Leonardo; der hat sich durch Einheirat in eine mittelgroße Bauernfamilie im küstennahen Bagheria mehrere Dutzend Hektar Agrumenfelder gesichert - Zitronen–, Orangen–, Mandarinen– und Pampelmusenplantagen, die er in zwanzigjähriger Umpflanz– und Veredelungsarbeit auf „EG–Niveau“ gebracht hat. „Schmecken tun die aber überhaupt nicht“, bemerkt er, als er eine Orange aufschneidet und durch Drücken zeigt, wieviel Wasser und wie wenig Fleisch daran ist. „Gottseidank habe ich weiter hinten noch einen Hektar unveredelt gelassen, die essen wir selber und die tausche ich mit meinen Verwandten gegen ungespritzte Tomaten und Oliven.“ Leonardo hat „das Glück“, wiederum einen Vetter in der „Soft Drinks SPA“ zu haben, einer Getränke–AG, die auch im Auftrag von Pepsi Cola arbeitet und es inzwischen auf 35 Angestellte und fünf eigene Transportfahrzeuge gebracht hat. Mit einem Umsatz von umgerechnet knapp 20 Millionen Mark und einem Ausstoß von 20 Millionen Flaschen beziehungsweise Dosen ist die Firma Marktführer an Soft–Getränken in Italien. Hierher zu liefern bedeutet Reputation in Nordsizilien, und Leonardo hat vor zwei Jahren, als seine Orangen nicht sonderlich gut aussahen, ausländische Waren gekauft und als „seine“ Produkte geliefert, nur um den Großkunden nicht zu verlieren. Die industriellen Abnehmer freilich schwimmen meist wirklich im Geld. Für sie ist, als einzige, die EG eine Goldgrube. Nicht nur, daß sie für jede neue Maschine Zuschüsse kassieren - die Süd–Entwicklungsfonds spucken unentwegt kaum kontrollierte Mittel aus - und durch ständiges Lamentieren auch noch aus Rom Sondermittel lockermachen: Sie benutzen die EG–Vorschriften auch ungeniert als Schlagstock gegen die Bauern. Da die meisten Orangen–Pflanzer überhaupt keine Ahnung haben, wie die EG–Fähigkeit einer Frucht gemessen wird, sind sie auf die Wertung durch den Käufer angewiesen. Der sieht natürlich allüberall „zurückweisbare“ Waren, nimmt sie aber selbstverständlich doch, aber zu geradezu lächerlichen Preisen. Immerhin, „er nimmt sie“, wie Leonardo meine penetranten Fragen am Ende beendet. Natürlich ist auch den Politikern diese Differenz der EG–Wunder nicht verborgen geblieben, zumal der Jahreswirtschaftsbericht soeben ergeben hat, daß das Wachstum im Süden mit nur 1,6 Prozent deutlich hinter dem Landesdurchschnitt von fast drei Prozent zurückbleibt. Und so haben sie allesamt für die Zeit nach den nächste Woche stattfindenden Wahlen „mächtige Hilfen“ für den Mezzogiorno, den italienischen Süden, angekündigt. Die meisten Bauern empfinden das allerdings eher als Drohung: „Sie werden uns Geld versprechen, wenn wir dies und das anbauen oder diese und jene Tiere ziehen. Dann tun wir das - aber plötzlich brauchen sie das Zeug nicht mehr oder sie haben längst andere Normen, und wir haben alles umsonst getan“, murrt Antonio. Was schlägt er selber vor? Hat er Vorstellungen, wie es besser werden könnte? Hat er. „Wenn wir nur wieder jemanden wie Genco Russo hätten...“ Besser mit der Mafia als mit der EG. Jedenfalls hier in Mussomeli.

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