: Gemeinsamer Markt: auch im Osten keine leichte Übung
■ Nach dem Rückgang der Erdölpreise gefallen den Sowjets die Austauschverhältnisse in der östlichen Wirtschaftsgemeinschaft nicht mehr / Die Orientierung auf den Weltmarkt nimmt bei allen Partnerländern im Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW) zu / Joint–Ventures sind kein Allheilmittel gegen neue Widersprüche
Aus Moskau Alice Meyer
Früher erfuhren die Leser sowjetischer Zeitungen über die Zusammenarbeit der Mitgliedsländer des östlichen Wirtschaftsblocks nur von großartigen Errungenschaften: von immer neuen Kooperations– und Spezialisierungsvereinbarungen, die angeblich alle erfolgreich durchgeführt werden, von „gesetzmäßig“ voranschreitender Integration, von „zunehmender Angleichung“ des Entwicklungsstandes der außereuropäischen Mitglieder Vietnam, Kuba und Mongolei an die sozial–ökonomischen Wohlstandskennziffern in den osteuropäischen „Brüderländern“. In einem in der Sozialistitscheskaja Industrija (Ausgabe vom 7.6.87) veröffentlichten Zeitungsinterview räumte der Mitarbeiter des Moskauer „Internationalen Instituts für ökonomische Probleme des sozialistischen Weltsystems“, N. Lopuchow, ein, daß man bei all diesen Erfolgsmeldungen ein bißchen geflunkert und - schlimmer noch - sich selbst in die Tasche gelogen hat. Es habe nicht nur „ungenutzte Vorteile“, sondern auch „verlustbringende Formen der Zusammenarbeit“ gegeben. Die Tatsache, daß in RGW–Expertenkreisen und neuerdings auch in der sowjetischen Presse immer häufiger von Mißständen und Mißerfolgen im RGW berichtet wird, ist nicht einfach Folge von mehr „Glasnost“, sondern vor allem Ausdruck real existierender Schwierigkeiten und Widersprüche. Kritik übte Lopuchow in dem erwähnten Beitrag vor allem an der Preisbildung im RGW. In der Zeit teuren Erdöls Anfang der achtziger Jahre, als die Handelsbilanzen der osteuropäischen Länder gegenüber der UdSSR tief in die roten Zahlen geraten waren, hatte Moskau mit dem Ziel, die den „Brüderländern“ gewährten Warenkredite nicht allzusehr anwachsen zu lassen, in größere Preiserhöhungen für die aus Osteuropa bezogenen Maschinen und Ausrüstungen eingewilligt. Der „Ölrechnung“ des großen Bruders konnten die Kleinen alles mögliche gutschreiben: Notwendiges und Überflüssiges, Gutes und Schlechtes, manchmal den letzten Schrott. Jetzt geht der Ölpreis auch im RGW–Absatzgebiet in den Keller, aber die hohen Preise für Maschinenbauerzeugnisse, die Moskau aus diesem Raum bezieht, sind unangetastet geblieben. Ein ungarischer „Ikarus“–Omnibus kostete die Sowjets anfang der siebziger Jahre 15 „Shiguli“– bzw. „Lada“– Pkw, jetzt 24. In demselben Ausmaß verteuerten sich fast alle anderen Maschinen, Ausrüstungen und Fahrzeuge aus Osteuropa. Ungarischen Außenhändlern, die in der Sowjetunion Tomaten– und Maiserntemaschinen, Schlachthofanlagen und Ausrüstungen für Hühnerfarmen verkaufen, wird von den Russen vorgehalten, sie seien viel zu teuer, da könne man gleich West–Fabrikate einkaufen. Nicht oft hörte man bisher aus der sowjetischen Wirtschaftspresse, daß der transferierbare Rubel als Verrechnungswährung im RGW nicht uneingeschränkte Anerkennung findet. Lopuchow weiß zu berichten, daß die Gründung eines gemischtnationalen Gemeinschaftsunternehmens durch eine ungarische und eine sowjetische Lampenfabrik bisher an unterschiedlichen Vorstellungen über die Kapitaleinlage der sowjetischen Seite gescheitert ist: Die Ungarn sperren sich gegen die Einbringung von Geldkapital in Form von Rubeln durch den UdSSR–Partner und verlangen statt dessen für den gemeinsamen Betrieb die Bereitstellung „harter“, weltmarktfähiger Waren durch die Sowjets: Primärenergieträger, Buntmetalle, Personenkraftwagen. Lopuchow wieder etwas hilfesuchend: „Solange wir im RGW keine frei konvertiblen Valuta haben, werden sie von uns immer wieder nur so etwas verlangen.“ Auch in der Wirtschaftszusammenarbeit Moskaus mit den Bulgaren gibt es Ungereimtheiten. In Plowdiw entsteht gegenwärtig ein Werk zur Herstellung von Baugruppen und Teilen für Kfz–Elektrik und -Elektronik, das als bulgarisch–sowjetisches Gemeinschaftsunternehmen aufgezogen werden soll. Die Vertragspartner aus der UdSSR - darum bemüht, das Inlandsdefizit an Kfz–Elektronik im Sowjetland so schnell wie möglich zu decken - willigten in eine Vertragsklausel ein, die vorsieht, daß „die beiden Seiten ein Preisniveau für die Erzeugnisse festlegen, welches sowohl in der Zeit der Inbetriebnahme der Kapazitäten als auch der Serienproduktion eine normale Rentabilität des Unternehmens gewährleistet“. Mit anderen Worten: Das neue gemischtnationale Arbeitskollektiv braucht sich um die Höhe der Selbstkosten nicht zu kümmern, über den Verkaufspreis werden Gewinne und Prämienausschüttung garantiert. Lopuchow klagt: „Für unsere 30 Millionen Rubel und die technische Dokumentation für die Anlagen garantieren wir der bulgarischen Seite den Absatzmarkt zu höheren als den Weltmarktpreisen im Austausch für sowjetische Automobile, die zu Festpreisen geliefert werden.“ Und weshalb, so fragt der Interviewer, werden die Gemeinschaftsunternehmen in ihrer großen Mehrzahl nicht auf sowjetischem Territorium, sondern in den östlichen Partnerländern gegründet? Lopuchow zerstreut letzte eventuell bestehende Verdachtsmomente, daß die Moskowiter mit diesem Joint–Ventures halbkoloniale Ausbeutungsverhältnisse im Ausland schaffen wollen. Seine entwaffnende Antwort: „Die Leiter unserer Unternehmen, Produktionsvereinigungen und Zweigministerien haben Angst vor den Scherereien, die ihnen Bau, Materialversorgung usw. dieser Betriebe im Inland bereiten würden ...“ Sehr weit ist die „Perestroika“ Michail Gorbatschows in der Sowjetökonomie also noch nicht gediehen. Die DDR, die sich - obwohl größter Handelspartner der UdSSR - bisher bei der Gründung von Gemeinschaftsunternehmen mit den Sowjets abseits gehalten hat, findet bei Lopuchow volles Verständnis. Die ostdeutsche Wirtschaft sei im Vergleich zur sowjetischen produktionstechnisch „insgesamt“ höher entwickelt, und daher sei es auch „vollkommen natürlich“, daß sie bei ihrer Suche nach vorwärtsweisender Technologie „lieber nach Westen Ausschau hält“.
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