: „Ich stell den Menschen doch über das Tier!“
■ Ende des Frankfurter Kirchentages: Absoluter Renner war die Bibelarbeit / Warum sind die Protestanten so scharf auf Prominenz? / 10.000 bis 20.000 bei der Anti–Apartheid–Demonstration / Wenn Katzen telefonieren könnten
Von Maria Neef–Uthoff
Frankfurt (taz) - Mit christlich– liturgisch–afrikanischen Gesängen aus dem Lautsprecher zieht am Samstag die Südafrika–Demonstration gegen Apartheid, begleitet von schrillem „Lalü–lala“– Überfall–kommandos, durch Frankfurts Innenstadt. Umrahmt von Polizei und Bundesgrenzschutz. Besonders unbeliebt macht sich mal wieder der Bundesgrenzschutz, als er ausgerechnet von ein paar Journalisten Adresse, Namen und Arbeitgeber aufschreibt. Friedlich laufen die Leute mit ihren gelben Anti–Apartheid–Tüchern. Schnell werden noch welche gekauft und um den Hals geschlungen, damit nur ja jeder sieht, daß man dafür ist und nicht dagegen. Aber es sind viel zu wenige auf der Demonstration, 10.000 oder 20.000, je nach dem Standpunkt der Zähler, und auf dem Gelände des Kirchentags herrscht zur gleichen Zeit das gewohnte Geschiebe. Die „Halle der Stille“ ist wegen Überfüllung geschlossen. Frau Präsidentin von Rotenhan will sich auf der letzten Pressekonferenz zur Demo gar nicht äußern, weil diese Demonstration ja gar keine Veranstaltung des Kirchentags ist. So gesehen, von sich aus, hat sie dann recht, wenn sie erleichtert konstatiert, daß sie beim besten Willen kein Schwerpunktthema auf diesem Krichentag entdecken konnte. Mit roten Wangen und mit einer zweiten Alibi–Frau an der Seite im Präsidium äußert sie sich erfreut darüber, daß sogar das Frauenproblem ganz normal geworden sei. Die weibliche Sicht sei in alle Bereiche gesickert, hier im Kirchentag sei für die Frauen fast alles erreicht worden. Auf die Frage, was denn mit dem Rest sei, wünscht sie: „Männer sollen auf diesem Weg weiter gehen.“ Das Präsidium ist wirklich zufrieden, so wenig Aufregung, so wenig Aggressivität. Eine Zeit echten Friedens. Vielleicht finde ich deswegen die kleine weiße Taube zum Anstecken wieder, die jemand anderes verloren hat. Was ist ein Kirchentag? „Die Diskussionen können die Leute doch alle auch im Fernsehen se hen“, sagt eine Journalistin, während wir beide eine Rindswurst essen. Finde ich auch. Aber dann berichtet mir eine Kirchentagsmitarbeiterin, wie schön sie Hildegard Hamm–Brücher gefunden habe, und daß sie im Fernsehen viel härter aussehe. Und in den Mitteilungen der Kirchentags–Redaktion kann man nachlesen, daß Frau Hamm–Brücher wiederum begeistert von Antje Vollmers Bibelarbeit zur feministischen Theologie war und diese sehr phantasievoll fand. Alles passiert gleichzeitig, wie in der Welt. Nur, normalerweise hat man nicht die Auswahl. Ich glaube, am verrücktesten werden bei einem solchen Unternehmen die Journalisten. Weil sie es sich nicht erlauben dürfen, sich einfach auf ein paar Pappkartons zu legen und Musik zu hören. 25 Aber ich habe keinen Blick für die Kleinen, kann nur vermuten, daß so manches Mädchen zum ersten Mal mit dem Freund eine Reise wagt. Unter dem Schutz der Kirche. Und dann küssen sich zwei, so innig katholisch, daß ich auch hier schnell wieder meinen Blick abwende, hin zur protestantischen Masse. Was ist ein Kirchentag? Ist es diese kleine, etwas gnubbelige, arglose 20jährige mit den zu kurzen Haaren, die es wagt, einer Gruppe von Tierschützern entgegenzutreten? Sie tragen ein Transparent mit der Aufschrift „Hoechst, erbarme dich!“ - „Also ich bin ja auch dafür, Tiere zu schützen, aber ich stell den Menschen doch über das Tier“, sagt die Arglose. „Ja“, sagt die Tierschützerin, schwarzblond und szenemäßig mit heruntergerutschter Pullover–Schulter und ebenso jung, „das finden wir auch, aber es werden zuviele, und bei Krankheiten hilft die Medizin ja gar nicht, und die Tiere haben umsonst gelitten.“ - „Ja,“ entgegnet die andere, „das stimmt schon. Aber mein Bruder hat Krebs gehabt ...“ - „Meine Schwester auch“, unterbricht die Tierschützerin, „sie hat nur noch ein Jahr gelebt, aber wie, da hätte man gleich auf die Medikamente verzichten sollen.“ - „Ja, aber meinem Bruder haben sie geholfen“, erwidert die Arglose, „der hat jetzt wieder eine Zukunft. Ich verstehe das schon, wenn sie die Katzen für die Versuche klauen, das ist nicht richtig, wir hatten auch eine Katze, die war dann weg, und wir dachten uns das schon ...“ - „Was,“ sagt die andere empört, „und da habt ihr Euch nicht drum gekümmert? Ihr habt in den Versuchslabors nicht angerufen!“ Die Arglose ist ganz betroffen, aber die Tierschützerin ist noch nicht fertig. „Siehst du“, sagt sie, „genau das ist es ja, wenn dich die Katze hätte anrufen können, wenn sie hätte sagen können: Hilfe, hol mich hier raus! Dann wärst du auch dahin gegangen.“ Das ist der Kirchentag. Immer wenn in den Veranstaltungen die Statements der Prominenten vorbei sind, leert sich der Saal um etwa die Hälfte. Absoluter Renner ist die Bibelarbeit, auch hier sind Prominente am Werk. Warum sind die Protestanten so scharf auf Prominenz? Keine Antwort. Das Essen ist furchtbar, lieblos zusammen gekochte Körner, die in den Zahnlücken hängen bleiben. Die wenigsten halten sich an das Gebot, den Abfall getrennt zu behandeln. In der aufgeweckten Kirchenzeitung „Pro–Test“ der evangelischen Studentengemeinde wird konsequent über die vier Tage hinweg „Auschwitz“ mit einem zusätzlichen „s“ bedacht. Der Pluralismus treibt, auf diese kurze Zeit zusammengedrängt, merkwürdige Blüten. Zum einen, ein ökumenischer Kreuzweg, der Süd–Afrika und den Nationalsozialismus problemlos vermischt, zur gleichen Zeit an einem anderen Ort leidenschaftliche Argumente gegen genau diese Art der Vermischung. Dieser Kirchentag stand auch unter dem Motto der Versöhnung. Auf der visuellen Ebene war durchaus etwas davon zu bemerken. Da hielten sich die Gegensätze gegenseitig stand, die offizielle Kirche und die inoffizielle, die christliche und die politische, die alternative und die brave, die Knackwurst und der Grünkern.
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