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Volkszählung schliddert ins Chaos

■ Vobo–Initiativen aus dem ganzen Bundesgebiet melden, daß noch immer ganze Stadtteile ohne Bögen sind / Offizielle Zeitplanung der Zählung völlig aus den Ufern gelaufen / Statt Zähler kommt der Postbote

Von Vera Gaserow

Berlin (taz) - Entgegen allen offiziellen Erfolgsmeldungen ist die Volkszählung 87 ein „gescheitertes Projekt“. In den meisten Regionen der Bundesrepublik konnte kein einziger vorher geplanter Termin der Erhebungsstellen eingehalten werden. Rund ein Viertel des zu zählenden Volkes hat bisher weder einen Zähler noch einen Fragebogen gesehen. Das konstatierten gestern das Bonner Koordinationsbüro der Vobo–Bewegung und Vertreter von Initiativen aus verschiedenen Bundesländern auf einer Pressekonferenz. In seinem Heimatort Mainz, so schätzt Wolfgang Raab vom Bonner Koordinationsbüro, sei die halbe Stadt bisher noch „bogenlos“. Initiativen–Vertreter aus Hamburg und Marburg berichteten, daß in ihren Städten gerade die sogenannten Problemviertel bisher von den Zählern ausgespart wurden. In weiten Bereichen des Bundesgegietes mußte der Zeitraum der Zählertätigkeit bis auf Ende Juni verlängert werden, obwohl die Arbeit längst beendet sein sollte. In Kassel und Frankfurt zum Beispiel sind erst Ende letzter Woche die letzten Zähler geschult und losgeschickt worden. In Berlin, wo nach offiziellen Darstellungen angeblich 95 Prozent der Bögen ausgeteilt worden sein sollen, hatte allein mehr als die Hälfte der 20.000 zwangsverpflichteten Zähler aus dem öffentlichen Dienst meist erfolgreich Widerspruch gegen das ungeliebte Zähleramt eingelegt. Weil sie das Problem offenbar nicht bewältigen, sind jetzt etliche Erhebungsstellen dazu übergegangen, die Fragebögen per Post zuzuschicken. Das jedoch widerspricht nicht nur der Intention des Volkszählungsgesetzes, das ausführlich die Aufgaben und die Hilfsfunktion der Zähler beim Ausfüllen definiert, sondern führt auch den vermeintlichen Sinn der Zählung, die tatsächliche Bevölkerungszahl der BRD festzustellen, ad absurdum. Bögen bekommen nämlich so alle Personen, die irgendwo gemeldet sind, egal ob sie schon längst unter anderer Adresse gezählt worden sind. Boykotteuren liefert die Zählung per Postboten ungeahnte Mög lichkeiten, denn in vielen Gemeinden wird der Bogen ohne Postzustellungsurkunde einfach in den Briefkasten gesteckt. Viele Bundesbürger sind überdies längst in die großen Ferien abgereist. „Mit diesem Vorgehen entfällt jeder Anspruch auf Seriosität der Volkszählung endgültig“, urteilten die Vobo–Vertreter gestern. Sie erwarten eine zweite Runde für die Sammelstellen der Vobo–Bewegung, wenn jetzt die Bögen per Post ankommen.

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