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Verstümmelung vor der Abschiebung

■ Abgeschobener Libanese schlitzte sich vor Abflug nach Beirut in Frankfurt den Bauch auf

Von Martin Wollenberg

Berlin (taz) - Ein in Berlin abgewiesener Asylbewerber hat sich gestern kurz vor seiner Abschiebung in den Libanon auf dem Frankfurter Flughafen mit einer Rasierklinge den Bauch aufgeschnitten. Es handelt sich bei dem Mann um den Libanesen Ali–Kemal Ajoub. Er wurde mit stark blutenden Verletzungen in das Frankfurter Flughafen–Krankenhaus gebracht. Zwei andere Libanesen wurden hingegen abgeschoben. Ajoubs Verzweiflungstat steht am Ende einer fast zweijährigen Kampagne für seinen Verbleib in der Bundesrepublik. Dreieinhalb Jahre hatte der Libanese wegen eines Drogenvergehens in der Berliner Haftanstalt Tegel gesessen. Ein Mithäftling aus Tegel hatte aus seiner Zelle heraus ein Bürgerbegehren für den Verbleib Ajoubs angeleiert, das von 200 Menschen, darunter etlichen prominenten Politikern, unterzeichnet worden war. Der Asylbewerber war dennoch nach seiner Entlassung in Abschiebehaft genommen worden. Als Haftgrund wurde der fehlende feste Wohnsitz angegeben. Daraufhin versuchte seine deutsche Lebensgefährtin, mit der er eine gemeinsame 10jährige Tochter hat, ihn polizeilich anzumelden, und bekundete eidesstattlich ihre Heiratsabsicht. Weil Ajoubs Paß in der Abschiebehaft lag, verwehrte die Meldestelle die Anmeldung und weigerte sich auch, die benötigte Paßnummer auf dem Weg der Amtshilfe anzufordern. Fortsetzung auf Seite 2 Kommentar auf Seite 4 Ob eine inzwischen erstattete Anzeige wegen Rechtsbeugung und Urkundenunterdrückung die Abschiebung Ajoubs noch aufhalten kann, erscheint fraglich. Der Sprecher des Berliner Innensenators Birkenbeul gab gestern unmißverständlich an, daß Ali–Kemal Ajoub auf jeden Fall in den Libanon abgeschoben würde, trotz seiner Selbstverletzung, „die im übrigen nicht so schlimm“ sei. Nach dem neuen Asylverfahrensgesetz würde jeder neu ge stellte Asylfolgeantrag sofort für unbeachtlich erklärt, da Ajoubs Asylbegehren innerhalb der letzten sechs Monate abgewiesen wurde, erläuterte Birkenbeul. Zur Stunde befindet sich der Libanese in Frankfurter Abschiebehaft. In dem Flugzeug nach Beirut saßen gestern zwangsweise zwei Libanesen und eine Familie mit sechs Kindern, die über Italien in die Bundesrepublik eingereist waren. Ihre „Zurückschiebung“ wurde vollzogen, obwohl die beiden Libanesen angaben, Deserteure aus der syrischen Armee zu sein. Beirut ist derzeit zum überwiegenden Teil in syrischer Hand. Damit dürfte sicher sein, daß die desertierten Libanesen bei der er sten Paßkontrolle nach dem Flughafen in die Zelle transportiert werden.

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