Randale in Rio: Laßt 100 Busse brennen

■ Fahrpreiserhöhungen bringen das Faß zum Überlaufen / Nach Randale vorläufige Rücknahme der Erhöhungen / Protestaktionen der Automobilarbeiter gegen Massenentlassungen bei VW und Ford, die die Krise für Umstrukturierung und Rationalisierung nutzen

Rio de Janeiro (afp/taz) - Bei den schwersten Ausschreitungen in Rio de Janeiro seit Ablösung der Militärdiktatur in Brasilien sind am Dienstag abend 47 Menschen verletzt und über 100 Personen verhaftet worden. Aus Protest gegen die 50prozentige Erhöhung der Buspreise demolierten Demonstranten fast 100 Autobusse und setzten sie in Brand. Heranrückende Löschfahrzeuge wurden von der Menschenmenge abgehalten und mit Steinen beworfen. Der ganze Verkehr brach zusammen und Zehntausende konnten nach der Arbeit die Stadt nicht verlassen. Erst nach stundenlangen Einsätzen konnte die Polizei mit Tränengas und Knüppeln die Demonstranten, die ihrerseits Steine und Molotow–Cocktails warfen, um Mitternacht auseinandertreiben. Doch der Einsatz der Streetfighter hatte sich anscheinend gelohnt: Am Mittwoch wurden die Fahrpreiserhöhungen vorläufig zurückgenommen. Schon vor fünf Tagen war der brasilianische Präsident Sarney in Rio de Janeiro von wütenden Demonstranten mit Rufen wie „Sarney raus“ und Steinen empfangen worden. Die galoppierende Inflation, sinkender Lebensstandard und Arbeitslosigkeit ließen die Unzufriedenheit in den letzten Monaten wachsen, gerade auch weil noch vor wenigen Monaten Verbesserungen für die Millionen Armen versprochen wurden. Trotz des Preisstopps vom 12. Juni werden die Grundnahrungsmittel von Tag zu Tag teurer und für viele unbezahlbar. Die massive Erhöhung der Fahrpreise war da wie ein Tropfen, der das Faß zum Überlaufen brachte. Da nach der 21jährigen Militärdiktatur immer noch - trotz zweier Jahre „neuer Republik“ - die Verfassung der Militärdiktatur in Kraft ist, fürchten politische Beobachter angesichts des explosiven Klimas „Gefahren für die junge Demokratie“. Einen unkontrollierten Ausbruch von Massenprotesten hält auch die Metallgewerkschaft des Industriezentrums Sao Bernardo bei Sao Paulo für möglich. Die Führung der Gewerkschaft hatte zu Demonstrationen gegen die Massenentlassungen bei VW und Ford, gegen die Zwangsferien von insgesamt mehr als 23.000 Automobilarbeitern in der ersten Juli– woche aufgerufen. Am 6. Juli soll eine Abordnung der Entlassenen in die Hauptstadt Brasilia fahren, um der Regierung Druck zu machen. Die Autokonzerne von Sao Bernardo sind angesichts einer massiven Absatzkrise in den letzten Monaten mit drastischen Methoden gegen ihre Belegschaften vorgegangen. General Motors schickte 10.000 Arbeiter vom letzten Montag an für zwei Wochen in Zwangsferien. Die inzwischen durch die gemeinsame Holdinggesellschaft Autolatina miteinander verbundenen Automultis Ford und Volkswagen lassen derzeit ebenfalls rund 9.000 Arbeiter zwangspausieren. Fiat läßt die Bänder im Juli stillstehen. Insgesamt 23.260 Metaller der Autokonzerne sind momentan zur Untätigkeit verdammt. VW und Ford nutzten die Gunst der Stunde und entließen 4.165 Arbeiter. Insgesamt verloren im letzten Halbjahr 10.000 Automobil–Arbeiter ihren Job. Der wahre Grund für die Massenentlassungen bei VW und Ford sind nach Ansicht der Gewerkschaft die im Zuge der Kooperation geplanten Umstrukturierungen und Rationalisierungen. Die Auto–Multis haben inzwischen bei der brasilianischen Regierung Forderungen angemeldet, durch die sie die Absatzkrise der Autoindustrie bewältigen wollen. So wird die Aufhebung der Zwangssteuer für den Kauf neuer Wagen gefordert, die vor elf Monaten zwecks Sanierung des Nationalen Entwicklungsfonds eingerichtet worden war. Die Regierung reagierte prompt. Am selben Tag, als Autolatina die Massenentlassungen bei VW und Ford bekanntgab, verkündete Sarney das Ende der Zwangssteuer, die zunächst 30 Prozent, später 15 Prozent vom Fahrzeugwert betragen hatte. c.s./marke