: P O R T R A I T Vom Revolutionär zum Liberalen
■ Horst Mahler, wegen Gründung der „Kriminellen Vereinigung“ RAF, Bankraub und Baaderbefreiung zu 14 Jahren Haft verurteilt, darf Jahre nach seiner Haftentlassung trotz Wechsel ins bürgerliche Leben nicht wieder Anwalt werden
Spannung liegt über dem Saal 700 des Berliner Kammergerichts. Der Angeklagte wird von Justizbeamten hereingeführt. Er grüßt mit erhobener Faust. Horst Mahler hat sich zum Aufbau der „Roten Armee Fraktion“ bekannt. Die „Zeugin“ in Häflingskleidung nimmt die Sonnenbrille ab, geht auf den kräf tigen Mann mit der lichten Stirn und dem langen Marx–Engels–Bart zu und drückt ihm über lange Minuten fest beide Hände: Ulrike Meinhof. Der Angeklagte ist „mein Bruder“, erklärt die Journalistin bei ihren Angaben zur Person. Mahler fordert zur Selbstfreiung von Auto, Kachelbad, schönen Reisen und zur Wandlung zum „revolutionären Subjekt“ auf. „Richtig, aber keine perfekte Theorie“, macht Ulrike Meinhof das Gericht zum Forum der RAF–Debatte. Zwei Jahre später sollte der ideologische Brudermord der RAF vollbracht sein. Mahlers „Neue Straßenverkehrsordnung“ bleibt Initialzündung, sie wird nie Programm der RAF. In seiner theoretischen Abhandlung zum Guerilla–Krieg in den Metropolen schweift der Leninist bis zur frühen Vision eines militanten, befreiten Kreuzbergs ab, in dem die Stadtguerilla agiert. Der Protokollant schreibt den 14.Dezember 1972. Am Tag der Begegnung vor Gericht sitzt Horst Mahler seit 8.Oktober 1970 in Untersuchungshaft. Die Anklage lautet: Gründung einer Kriminellen Vereinigung, Rädelsführerschaft und Bankraub. Der Apo–Anwalt Mahler, dessen Ehrengerichtsverfahren die legendäre „Schlacht am Tegeler Weg“ auslöste, bei der die Studenten das erste Mal mit Steinwürfen die Ordnungsmacht vertrieben, erreicht den Höhepunkt seiner Popularität. Verurteilt zu zwölf und dann noch einmal zwei Jahren Haft wegen angeblicher Beteiligung an der Baader–Befreiung blieb Mahler nur das Regal mit den „blauen Bänden“ und Zeit für die von seiner Weggefährtin bemängelten Theorien. Diese veränderten sich im schnellen Wandel der siebziger Jahre. Die RAF–Eminenz in der Haftanstalt Tegel konvertierte zur KPD/AO. Bei der Entführung des Berliner CDU–Chefs Lorenz setzt die „Bewegung 2.Juni“ Mahler noch mit auf die Liste der freizulassenden Gefangenen. Aber der Maoist sah die Rote Sonne aufgehen und lehnte die Befreiung ab. Er forderte zehn Minuten Redezeit im Ersten Deutschen Fernsehen. Er wollte warten. „Die Arbeiterbewegung wird mich befreien“, präsentierte sich der Anwalt den Massen als Kandidat der KPD. In einem Kursbuchartikel hatte sich Mahler seiner Theorie des bewaffneten Kampfes entledigt. In einem sensationellen Spiegel–Gespräch nahm Mahler 1980 - er hatte inzwischen auch der stärksten der Parteien desillusioniert wieder den Rücken gekehrt - den Dialog mit den „Bütteln des Kapitalismus auf“, für die im Schlußwort seines zweiten Prozesses noch galt: „Mit denen redet man nicht, auf die schießt man.“ Der Mitgründer der RAF versuchte den Grundstein für die Aussöhnung zu legen. Von den alten Genossen als Verräter gebrandmarkt, wechselte der geläuterte Revolutionär wieder ins bürgerliche Milieu. Ein Liebäugeln mit der FDP, Managerseminare über Marxismus und neue Hoffnungen auf eine eigene Kanzlei. k.k.
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