K O M M E N T A R Grausen

■ Zum Barbie–Prozeß in Lyon

Die These, die ein Kommentar enthalten soll, habe ich nicht im Kopf, während ich zweihundert Meter vom Gericht entfernt an der Maschine sitze. Ich habe in diesem Augenblick, während dem im Barbie–Prozeß die letzten öffentlichen Worte vor dem Urteil gesprochen werden, nur von einer rasenden Wut zu berichten, die mir die Geduld zur Formulierung einer These raubt. Wenn jetzt, während ich schreibe, der Gestapochef von Lyon hereingeführt wird, damit ihm die Gerichtsvorsitzende die rituelle letzte Frage stellen kann, dann weiß ich, daß die Prophezeitung seines Verteidigers Verges in Erfüllung geht: Barbie und er, hatte er gesagt, seien die einzigen, denen es wohl sein werde in diesem Gericht. Diesen Triumph hätte ich ihnen weiß Gott nicht gegönnt, aber das Gericht hat ihn durch seinen Leichtsinn ermöglicht. Da waren falsche Fotos vorgezeigt worden, und niemand hatte protestiert. Da hatte man Zeugen geladen, die unter Aufbietung ihrer letzten Kräfte von ihren Leiden unter der Folter berichteten, und dann zu erkennen gegeben, daß es auf die Zeugen eigentlich nicht ankommt. Anwälte der Nebenklage hatten das Recht auf Antwort verlangt, weil sie den Staat Israel vom Plädoyer des Mitverteidigers beleidigt sahen. Wenn aber Jacques Verges am Ende des Prozesses das Hauptdokument der Anklage, das Izieu– Fernschreiben, mit einer Fülle von Einwänden in Zweifel zieht, erheben die Anwälte der Izieu–Familien keinen Einspruch. Es scheint wichtiger, die Beleidigung Israels zurückzuweisen als für die Sache der Opfer zu kämpfen. Wenn ich sehe, in welcher Unsicherheit man die Geschworenen in die Urteilsberatung entläßt, packt mich ein Grausen. Nein, dazu habe ich keine These. Lothar Baier