: Hanauer Sumpf–Blüten
■ Was Rot–Grün nie erreichte, geht jetzt wie von selbst: NUKEM legt NUKEM still, und die CDU mimt den Sicherheitsapostel /Von Klaus–Peter Klingelschmitt
Noch während in Wiesbaden die 100–Tage–Schonfrist für den neuen hessischen Umwelt– und Reaktorminister Karlheinz Weimar lief, stand dem christdemokratischen Newcomer der erste kleine „GAU“ ins Haus. Die Hanauer Atomfabriken ALKEM, NUKEM und RBU, die bereits dafür gesorgt hatten, daß die für die atomrechtlichen Genehmigungsverfahren und für die Aufsicht über diese Atomanlagen zuständigen sozialdemokratischen Vorgänger des Ministers nicht mehr aus den Schlagzeilen kamen, brachten am 22. Juni auch den Unionspolitiker ins Schleudern. Ohnmächtig mußte Weimar - durch die taz informiert - nämlich zur Kenntnis nehmen, daß schon zehn Tage zuvor auf dem Gelände der „Reaktor–Brennelemente Union“(RBU) in einem Behälter ein „Säckchen“ mit 25 kg Uranoxid–Tabletten gefunden worden war. Das strahlende Material war zwei Jahre lang von keinem der für den Betrieb dieser Atomanlage Verantwortlichen vermißt worden. Doch die RBU– Manager traf diesmal keine Schuld an der Vertuschung des Vorfalls. Denn wie ALKEM/ RBU–Pressesprecher Dr. Jendt auf Nachfrage süffisant versicherte, sei die Aufsichtsbehörde „umgehend informiert“ worden. In der Tat hat die Atomabteilung im Umwelt– und Reaktorsicherheitsministerium, die bis zum 5. April noch dem SPD Wirtschaftsminister Steger unterstand, den neuen Chef mit solchen „marginalen Vorkommnissen“ nicht belästigen wollen. In dieser Atomabteilung, die es gewohnt ist, selbständig zu arbeiten, sitzen alte „Atomfüchse“. Die werden ab dem 10. August allerdings auf der Anklagebank der Fünften Großen Strafkammer des Landgerichts Hanau sitzen: die Ministerialdirigentin Dr. Angelika Hecker, der Leitende Ministerialdiriegent Ulrich Thurmann und der Ministerialdirigent Hermann Frank. Alle drei Angeklagten waren vor ihrem Eintritt in das hessische Wirtschaftsministerium leitende Angestellte der Atomindustrie. Weimar im Atomsumpf Der CDU–Minister Weimar, so ein Augenzeuge zur taz, soll mit einem „Tobsuchtsanfall“ auf die Geheimhaltungspolitik seiner Ministerialdirigenten reagiert haben. Umsonst: Ab dato war der atompolitisch „jungfräuliche“ Minister mittenmang im Hanauer Atomsumpf. Nicht nur die Grünen im hessischen Landtag warfen ihm postwendend vor, daß er den Zwischenfall bei der RBU, den inzwischen bereits die Staatsanwaltschaft untersucht, habe vertuschen wollen. Der zweite „Hammerschlag“ traf den Minister nur Tage später. Der Hanauer Staatsanwalt Hübner legte in einem Zeitungsinterview offen, daß der Zwischenfall bei der RBU als Delikt auch ein „Verstoß gegen den Atomwaffensperrvertrag“ sein könnte. „Vagabundierender“ Spaltstoff decke sich nämlich kaum mit den Kontroll– und Sicherheitsvorschriften der Internationalen Atom–Aufsichtsbehörde (IAEO). Der neue hessische Justizminister Karl–Heinz Koch (CDU) verpaßte dem „schwatzhaften“ Staatsanwalt daraufhin einen Maulkorb. Tatsächlich war es möglich, daß vor jetzt zwei Jahren im bayerischen RBU–Werk II 25 kg Uranoxidtabletten, mit denen Brennelemente gefüllt werden, verschwinden konnten, ohne daß dieser „Abgang“ bemerkt wurde. Schon einmal war in diesem Werk II in Karlstein Spaltstoff verschwunden. Der tauchte dann in einem Büroraum im Werk I in Hanau wieder auf - in einem Staubsaugerbeutel. Als dann noch in Wiesbaden durchsickerte, daß die Brennelementefabrik NUKEM mehr Uran aus diversen Forschungsreaktoren lagert als der Atomfirma genehmigt worden war, trat Minister Weimar erneut die Flucht nach vorne an. Im Morgengrauen des 29. Juni standen seine Kontrolleure vor den Werkstoren und begehrten Einlaß. Ihr Auftrag: Mengenkontrolle des spaltbaren Materials aller Hanauer Nuklearfirmen und Vergleich des Ist–Zustandes mit den gebuchten Mengen. In Hanau „alles paletti“ Schon am Tag danach stellte Weimar in Wiesbaden stolz die Kontroll–Bilanz seines Hauses vor: Alles paletti. Die vorgekommenen Mengenüberschreitungen seien nur Einzelfälle gewesen. Den Hanauer Betrieben müsse bescheinigt werden, daß „keine Unregelmäßigkeiten“ bei der Lagerung und Erfassung radioaktiver Stoffe hätten festgestellt werden können. Daß die „Prüfer“, die sich nur einen Tag lang in den insgesamt vier produzierenden Atomfabriken aufhielten und dort nur Stichproben durchführten, selbstverständlich aus der Atomabteilung des hessischen Ministeriums kamen, deren Mitglieder jahrelang Mitverantwortung für die verschleppten Genehmigungsverfahren und die diversen Schlampereien trugen, teilte Weimar der Öffentlichkeit nicht mit. Zwar sollen die angeklagten Beamten Thurmann, Frank und Hecker bereits unter Steger entmachtet worden sein, doch Eingeweihte berichten, daß die drei Experten in der Abteilung das Heft noch immer fest in der Hand halten. Schon jetzt sei Weimar zum „Ankündigungsminister“ verkommen, meinte etwa der Pressesprecher der grünen Landtagsfraktion, Georg Dick. Denn in „gleicher Linie“ stehe des Ministers „vorgetäuschte Härte“ gegenüber der Brennelementefabrik NUKEM–alt, die der Christdemokrat - gleich nach Amtsantritt - von Mitarbeitern des TÜV Bayern und der Gesellschaft für Reak torsicherheit (GRS) überprüfen ließ. Bei NUKEM–alt hatte sich nämlich Weimars verantwortlicher Vorgänger, Ulrich Steger (SPD), auf einen „Deal“ mit der Atomfabrik eingelassen, der nur als kriminell bezeichnet werden kann. Bereits 1982 stellte der TÜV Bayern bei der NUKEM–Altanlage „erhebliche Sicherheitsmängel“ fest, deren „Heilung“ die Firma rund 30 Millionen DM gekostet hätte. Das war ein Betrag, den die NUKEM damals zu berappen nicht bereit war. In Verhandlungen mit Steger erreichte die Firma schließlich, daß ein Großteil der vom TÜV für erforderlich gehaltenen Sicherheitsnachrüstungen nicht vorgenommen werden mußte. Die Atomlobby diktiert In diese Falle, die Steger wahrscheinlich - zusammen mit seinen Vorgängern Reitz (SPD) und Hoffie (FDP) - auf die Hanauer Anklagebank bringen wird, wollte Weimar natürlich nicht hineintappen. Der Minister erklärte bereits auf der ersten Plenarsitzung des Landtags nach der Wende, daß die Zustände bei NUKEM–alt, die „schlimmer als Flick“ seien, umgehend erneut untersucht werden müßten. TÜV und GRS legten dem Minister denn auch in der vergangenen Woche eine Mängelliste vor, die sich gewaschen hat und die - wie schon bei dem Gutachten 1982 - Nachrüstungsmaßnahmen in Höhe von zig Millionen DM erforderlich machen würde. Nach Auffassung der Grünen ist die einzige Konsequenz, die aus dieser Mängelliste gezogen werden müsse, die „sofortige Stillegung“ von NUKEM–alt. Die Sicherheit der Bevölkerung im Großraum Hanau sei „extrem gefährdet“. Doch Weimar - hin und her gerissen zwischen seinem Motto „Sicherheit über alles“ und dem Druck der Atomlobby in den eigenen Reihen - entschloß sich zu einer halbherzigen Maßnahme, mit der NUKEM–alt weiter am Leben erhalten wird - so lange, bis 1989 die Anlage NUKEM–neu die Produktion aufnehmen kann. Eine ordentliche atomrechtliche Genehmigung nach §7 Atomgesetz, die bei NUKEM–alt seit mehr als 11 Jahren fehlt, strebt demnach auch der neue Minister in Wiesbaden nicht mehr an. Doch selbst die von Weimar ins Auge gefaßte Teilstillegung, die sich der Umweltminister zumindest als politischen Erfolg an den noch leeren Hut hätte stecken können, wurde von den NUKEM–Managern unterlaufen. Noch bevor der Minister seine Auflagenverfügungen an die Öffentlichkeit weitergeben konnte, legten die Hanauer einen Teil ihrer Altanlage selbst still. Plötzlich - unter einer CDU–geführten Landesregierung - teilt man in den Chefetagen in Hanau–Wolfgang die Sicherheits bedenken, die unter rot–grüner Ägide noch „Hirngespinste“ durchgeknallter Technologiefeinde waren. Vorteile für alle Seiten Der neue „Deal“ bringt beiden Seiten nur Vorteile. RWE und DEGUSSA, die Mehrheitsgesellschafter der NUKEM, werden ein paar Millionen DM in die Sicherheit und in das Firmen–Image investieren, und Ministerpräsident Walter Wallmann, dem noch immer das Manko des Bonner Atomministers anhängt, darf sich jetzt - zusammen mit seinem jungen Minister - als Sicherheitsfanatiker feiern lassen. Daß dieser neue „Deal“ einer Landesregierung mit den Atomfabriken nur möglich war, weil diese CDU/FDP– Regierung wiederholt Bestandsgarantien für die Hanauer Betriebe ausgesprochen hat und nicht daran denkt, aus der „friedlichen“ Nutzung der Atomenergie auszusteigen, versteht sich: Eine Hand wäscht die andere. Weimar hat bereits angekündigt, daß er gedenkt, die anstehenden Genehmigungsverfahren für die anderen Nuklearfabriken „straight“ durchziehen zu wollen. Ob er dabei nach Recht und Gesetz handelt, werden wohl wieder die Gerichte zu entscheiden haben. Denn mit seiner Ende Juni ausgesprochenen Vorabgenehmigung für den Bau eines neuen „Pulver– Pellet“–Lagers durch die RBU hat er sich schon in die juristischen Nesseln gesetzt. Unter anderem wegen der vom Landgericht Hanau als illegal gewerteten Vorabgenehmigungen für die NUKEM, werden die Minister Steger, Reitz und Hoffie vor dem Kadi antanzen müssen. Der Hanauer Oberstaatsanwalt Farwick hatte seinerzeit - auf Nachfrage der taz - definitiv erklärt, daß die genannten Minister in Sachen ALKEM nicht auf die Anklagebank müßten, weil ihnen eine Kenntnis der diversen ALKEM–Vorabgenehmigungen nicht nachzuweisen gewesen sei. Im Falle Weimar und RBU dürfte dieser Nachweis leicht zu erbringen sein.
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