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Schöffe im Sare–Prozeß entpflichtet

■ Im Frankfurter Verfahren um den Tod des Demonstranten Sare stellte Verteidigung Befangenheitsantrag / Ein Schöffe zeigte sich vom Wahrheitsgehalt der Aussage eines Belastungszeugen überzeugt

Aus Frankfurt Heide Platen

Einem Befangenheitsantrag gab die 31. Große Strafkammer des Frankfurter Landgerichts gestern vormittag statt. Im Prozeß gegen den Wasserwerfer–Kommandanten Reichert und seinen Fahrer Hampl entpflichtete sie den Ersatzschöffen G. Der Laienrichter hatte mehrmals durch nachhaltige Fragen an Polizeizeugen versucht, sich sachkundig zu machen. Den beiden Angeklagten wird vorgeworfen, am 28. September 1985 während einer Demonstration Günter Sare mit einem großen „WaWe 9“ übberrollt und getötet zu haben. Zur Entpflichtung des Laienrichters kam es, nachdem dieser einen Zeugen, der damals auch an der Demonstration teilgenommen hatte, für dessen „gute Wahrnehmungsgabe“ lobte. Ob er möglicherweise Motorradfahrer sei? Die hätten, das wisse er aus eigener Erfahrung, eine solche. Dies ging Reicherts Verteidiger, Rechtsanwalt Fritz Sauer, zu weit. Ob der Herr Schöffe damit die Aussage dieses Belastungszeugen für zutreffend halte? Der bejahte das mit einem lauten: „Jawohl!“ Gestern vormittag erklärte sich auch der Staatsanwalt, der sonst eher passiv am Verfahren teilnimmt, zu dem Befangenheitsantrag. Er halte ihn für berechtigt. Laienrichter G. erklärte, er stehe zu dem, was er gesagt habe. Nach einer 20minütigen Beratung gab das Gericht dem Antrag statt und G. mußte die Richterbank räumen. Für ihn rückt, nachdem bereits ein Laienrichter wegen Krankheit ausgeschieden ist, die letzte Ersatzschöffin nach. Der Prozeß müßte abgebrochen werden, falls einer der zwei amtierenden Laienrichter beispielsweise wegen einer längeren Krankheit ausfällt. ProzeßbeobachterInnen kritisierten im Anschluß, daß der Vorsitzende Richter Bernhard Scheier seinen Beschluß nicht begründete und somit nicht deutlich machte, warum ein Laienrichter Glaubwürdigkeit und Beobachtungsgabe nicht hinterfragen darf, wenn sie ihm auffallen - und sei es durch eine Bewunderung für Motorradfahrer. Im gleichen Kontext hatte der Verteidiger des Wasserwerferfahrers Hampl den Zeugen immerhin gefragt, ob er an diesem Tag etwa Alkohol getrunken habe. Außerdem seien an Laienrichter weniger strenge Maßstäbe anzulegen als an Berufsrichter, zumal wenn sie sich engagiert zeigten. Im Zweifelsfalle hätte es nach Meinung vieler Prozeßteilnehmer genügt, wenn der Vorsitzende Richter interveniert und die inkriminierende Frage nicht zugelassen hätte. Er habe damit seine Fürsorgepflicht verletzt.

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