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Ein fast alltäglicher Unfall

■ Die Katastrophe von Herborn ist die logische Konsequenz des massenhaften Transports von gefährlichen Stoffen / Verlagerung auf die Straße / Von den 27.000 Tanklastern verunglückt fast täglich ein Fahrzeug

Berlin (taz) - Der Unfall von Herborn ist die logische Konsequenz der massenhaften Transporte gefährlicher Güter auf der Straße. 27.000 Tanklastfahrzeuge sind in der Bundesrepublik für den Transport von Gefahrstoffen zugelassen. Täglich befinden sich mehr als 5.000 Tanklaster auf unseren Straßen. Geht man von der Unfallstatistik im allgemeinen Straßenverkehr aus, ist es völlig „normal“, daß in einem Jahr mehr als 300 Tanklastfahrzeuge verunglücken. Das heißt, daß an fast jedem Tag in der Bundesrepublik ein Tanklaster sich überschlägt, gegen einen Baum prallt, ins Schleudern gerät oder auch nur vor der roten Ampel auf den Vordermann auffährt. In der Regel geht es mit einem Blechschaden und gehörigen Schrecken ab, doch wenn der Tank birst, explodiert oder als Giftwolke freigesetzt wird, ist die Katastrophe da. Die Bundesregierung hat als Antwort einer kleinen Anfrage der SPD die Schreckensbilanz exakt aufgemacht. Zwischen 1975 und 1983 wurden 4.875 Unfälle beim Transport mit wassergefährdenden Stoffen (Mineralöl–Produkte und Chemikalien) registriert. 60 Prozent dieser Unfälle passierten auf der Straße, 35 Prozent beim Schiffstransport, fünf Prozent auf den Bahnstrecken. Etwa 90 Prozent aller Unfälle betreffen Mineralöl–Produkte. Das kann relativ harmloses Heizöl sein oder explo sives Benzin wie jetzt in Herborn. Insgesamt 230 bis 250 Millionen Tonnen Gefahrgut werden jährlich transportiert. Der ständige Appell von Umweltgruppen (“gefährliche Güter gehören auf die Bahn“) wurde dabei ignoriert. Der Trend geht eher in die andere Richtung: Der Güterverkehr bei der Bahn hat im vergangenen Jahr drei Prozent an Volumen verloren. Fast die Hälfte aller Gefahrstoffe (42 Prozent) werden gegenwärtig im Nahverkehr auf der Straße bewegt. Durch die systematisch vorangetriebene Reduzierung des Schienennetzes gibt es für viele dieser Transporte keine Alternative mehr. Der Straßengüter–Fernverkehr transportiert rund neun Prozent der gefährlichen Stoffe, die Bahn rund zwölf Prozent, die Schiffahrt 35 Prozent. Wegen der viel größeren Ladekapazitäten von Bahn und Schiffsverkehr ist die Anzahl der Transporte natürlich viel geringer und damit auch das Risiko. Die Transportwege selbst sind ebenfalls „hundertmal sicherer“ (Verkehrsclub VCD). Die Bundesrepublik rühmt sich der schärfsten Transportbedingungen in Europa. Doch auch die immer wieder veränderte „Gefahrgutverordnung Straße“ hat noch genügend Mängel, und vor allem: Sie wird nicht eingehalten. Noch am 4. Februar dieses Jahres jammerte der Bundesverband des deutschen Groß– und Außenhandels in einer Erklärung über die „praxisfremden und überzogenen“ Forderungen der Verordnungen. Man sei mit „einer nicht mehr handhabbaren Fülle komplizierter und untransparenter Vorschriften konfrontiert“, mit „Anforderungen, die die Betroffenen weder erfüllen noch verstehen“ könnten. Die Verhältnismäßigkeit zwischen Sicherheitsnutzen und Aufwand sei nicht mehr gewährleistet. Auf deutsch: Die Sicherheit kostet zu viel, ist zu aufwendig und stört das durchrationalisierte, knallhart kalkulierende, Transport(un)wesen. Zu diesem Transportwesen gehört nach wie vor das Akkordsystem für Fahrer. Geschwindigkeitsüberschreitungen (die mit 38,5 Prozent wichtigste Unfallursache bei Unfällen mit Tanklastern) sind dabei die Regel. Und auch die ohnehin schon heraufgesetzten Lenkzeiten werden nach wie vor überzogen. 14, 16 oder 18 Stunden am Steuer eines Brummi sind nach wie vor möglich, weil - so die ÖTV - die Tachokontroll–Scheiben nur für einen zu kurzen Zeitraum mitgeführt werden. Die legalen Lenkzeiten wurden im Jahr der europäischen Verkehrssicherheit von bisher acht auf maximal neun und zweimal wöchentlich sogar zehn Stunden täglich angehoben. „Der Übermüdungs– und Belastungseffekt“, kritisiert ÖTV–Vorstandsmitglied Eulen, „findet viel zu wenig Beachtung.“ Daß es mit der Sicherheit hapert, berichteten auch einfache Verkehrspolizisten bei ihren Routinekontrollen. Wegen gravierender Mängel mußten Gefahrgut– Transporte immer wieder aus dem Verkehr gezogen werden. Im Mai dieses Jahres knöpfte sich die Polizei in NRW 4.463 Fahrzeuge vor. Ergebnis: 889 Sicherheitsverstöße, 418 Fälle von überhöhter Geschwindigkeit, 160 technische Mängel, 117 Fälle von mißachteten Lenk– und Ruhezeiten. Vor allem bei ausländischen Fahrzeugen stehen den Beamten oft „die Haare zu Berge“, wenn die Reifen abgefahren, die Bremsschläuche beschädigt oder die Beleuchtungsanlagen ausgefallen sind. Mehr Sicherheit heißt jetzt - wie nach jedem Unfall - die Parole. Gefordert werden Antiblockier–Systeme für die Lkw und zwei voneinander unabhängige hydraulische Bremsanlagen, bessere Ausbildung der Fahrer, stabilere Tanks usw. Das stößt wie gehabt auf den Widerstand der Transportunternehmen, denen die Sicherheit zu teuer wird. Man könne die Tanks zu „wirtschaftlichen Bedingungen“ nicht so bauen, daß ein Auslaufen des explosiven Inhalts in jedem Fall vermieden werden kann, sekundiert der TÜV in Essen. Die Umweltverbände halten dagegen: Es geht nicht um technische Nachrüstung, sondern um eine andere Verkehrspolitik. Manfred Kriener

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