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Achtung Stau!

„Wer da drinnen im Stau gestanden ist, der fährt kein zweites Mal durch“, schätzt die Souvenirverkäuferin im Panorama–Kiosk an der Paßstraße. Auch ohne Stau herrscht meist dicke Luft. Deutlich sichtbar quillt der bläuliche Dunst aus dem Eingang - und riechbar! Dieses Mal nach nicht mal hundert Metern - Stau! Dabei herrschte draußen kaum Verkehr. Fenster hochkurbeln. Nach einer Weile geht es im Stop–and–go– Rhythmus zähflüssig weiter. Alle 125 Meter provoziert ein blau– weißes, neonbeleuchtetes SOS– Schild (Hinweis auf eine Ausweichbucht mit Telefon und Feuerlöscher) makabre Katastrophen–Phantasien: Was, wenn hier ein Lastzug umkippt, eine Karre zu brennen anfängt - in der voll– gestauten Röhre. Die Erinnerung an den Roman „Der Tunnel“ von Bernhard Kellermann, in dem der Bau eines Tunnels unter dem Atlantik nach Europa erzählt wird, weckt Sinnkitzel und Schauder. Eines Tages gibt es dort unten eine mächtige Explosion. Der Roman erregte in den zwanziger Jahren weltweit Aufsehen. Der parallel verlaufende Rettungsstollen ist nur einspurig für kleine Fahrzeuge befahrbar. Bei einem Unfall sollen per Computer wechselseitig auf rot geschaltete Ampeln (alle 250 Meter) den Rettungsfahrzeugen die Anfahrt im Zick–Zack ermöglichen. Die Feuerwehrtrupps, die rund um die Uhr Bereitschaft haben, müssen bei Alarm innerhalb von drei Minuten im Loch sein. Manchmal zünden sie auf einem nahen Autofriedhof reihenweise Autowracks an und üben, im schweren Atemschutz, Tunnelkatastrophe. In meinem Rückspiegel trommeln Finger nervös auf einem BMW–Lenkrad. Die ersten steigen aus und spähen nach vorne. Leider gibt es hier drinnen keine freundlichen Stauberater, die Limonade und Kinderspielzeug verteilen. Im Schrittempo geht es weiter. Es ist schwül und stickig. Ein nasses Handtuch vom vorherigen Schwimmbadbesuch kommt zum Einsatz. Nach zehn Minuten passiere ich Kilometer 16, habe also immerhin schon einen Tunnel–Kilometer hinter mir. Auf grünen Blechtäfelchen rennen kleine weiße Männlein hinter weißen Pfeilen her - Hinweise auf die nächste Fluchtnische. Dann geht es plötzlich zügig voran. Ein Bagger kommt entgegen, gefolgt von einer kriechenden Schlange, an deren Ende die Fahrer neben den Autos stehen. Der Reiz in den Schleimhäuten wird stärker. 18 Ventilatoren mit je fast vier Meter Durchmesser entlüften den Tunnel mehr schlecht als recht. Zwischen Kilometer 11 und 12 markieren zwei Wappen die unterirdische Grenze zwischen Uri und dem Tessin, die hier unten im Loch so imaginär bleibt wie die Sprachgrenze, die Vegetationsgrenze und vor allem die Wetterscheide der Alpen. Nach rund 40 Minuten kündigt ein Lichtschimmer endlich das Ende an: Raus aus dem Loch, rein in die Tessiner Abendsonne. Fenster aufreißen! Der kleine Tümpel rechts neben der Piste ist allerdings noch nicht das Mittelmeer. Auf der Standspur zerrt ein Abschleppwagen an einem Benz samt Surfbrettern und Wohnzimmer. „Ja, da war gegen halb acht was mit einem Wohnwagen“, erinnert sich am nächsten Morgen sofort Polizei–Dienstchef Walter Zgraggen. Im Werkhof Göschenen, der an die Leitzentrale eines AKWs erinnert, sitzen Zgraggens Mitarbeiter und gucken - ebenso wie ihre Tessiner Kollegen in Airolo - in die Röhre - via Monitor. Als ich gehe, drückt gerade ein deutscher LKW–Fahrer seinen öligen Finger auf den Klingelknopf: Seine 18 Meter lange Kiste ist mit geplatztem Kühler liegengeblieben - 150 Meter vor dem Tunnel.

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