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Schlangestehen gegen die Stahlkrise

■ Bundesweite Kurzstreiks in der Stahlindustrie / Solidarität mit den Arbeitern der Maxhütte / Symbolische Arbeitslosenschlange vor dem Arbeitsamt in Sulzbach–Rosenberg / 4.000 Arbeiter mit Familien protestierten dort gegen die anstehenden Massenentlassungen

Von Luitgard Koch

Sulzbach–Rosenberg (taz) - Zwei Stunden lang stand gestern die gesamte deutsche Stahlproduktion still. Bundesweit solidarisierten sich am Vormittag die Stahlwerker mit den Beschäftigten des in Konkurs geratenen Oberpfälzer Stahlwerks Maxhütte und legten für zwei Stunden ihre Arbeit nieder. In Hattingen demonstrierten über 3.500 Beschäftigte, bei Hoesch in Dortmund fiel die Frühschicht aus, bei Thyssen in Duisburg hielten die Arbeiter sämtliche Werkstore besetzt, 10.000 Stahlwerker gingen bei Arbed–Saarstahl auf die Straße. In Bochum folgten dem Aufruf der IG Metall rund 4.000 Arbeiter. Währenddessen zogen über 4.000 Beschäftigte der Maxhütte mit ihren Familien unter dem Motto „Wir stellen uns in die Reihe“ zum Arbeitsamt in Sulzbach–Rosenberg. Die Teilnehmer trugen dabei Schilder wie „Be triebsschlosser sucht Arbeit“. Mit dieser Aktion wollten die Arbeiter klarmachen, wie lang die Schlange der Arbeitslosen sein wird, falls es durch den angekündigten Abbau von 3.500 Arbeitsplätzen zu Massenentlassungen kommt. In den Zug reihten sich auch die Angestellten der Banken und Stadtverwaltung sowie Geschäftsleute ein. Banken und Läden hatten in dieser Zeit geschlossen. Die Arbeitslosenquote würde allein in Sulzbach–Rosenberg durch die Entlassungen über 30 Prozent ansteigen und dann bei 13,5 Prozent liegen. Nach Abschluß der Proteste stellte das Münchner Institut für Medienforschung und Urbanistik (IMU) auf einer Pressekonferenz ein vom DGB in Auftrag gegebenes „Maxhütte–Umbau– und Innovationskonzept“ vor, mit dem alle 4.300 Arbeitsplätze erhalten werden könnten. Schwerpunkt des Gutachtens: Die Umstellung des Stahlwerks auf Umwelttechnik wie Recycling, Entsorgung von eisenhaltigen Abfällen, Bau von Rauchgasreinigungsanlagen und Modernisierung des Unternehmens. Nach Angaben der IMU– Vertreter besteht die Möglichkeit, für das 400 Millionen Mark teure Umbaukonzept sowohl Bundes– und Landesmittel als auch Gelder von der EG zu erhalten. Ganz offenbar bedürfen die Zahlen über die zu streichenden Arbeitsplätze in der Stahlbranche einer ständigen Korrektur nach oben. 80.000 sollen es nach einem Konzept der Kommission der Europäischen Gemeinschaft nun sein. Darauf einigte man sich am Dienstag abend in Brüssel. Gleichzeitig will die EG rund 12,6 Milliarden DM bereitstellen, mit denen soziale Folgen aufgefangen werden sollen. Fortsetzung auf Seite 2 Davon sollen drei Milliarden DM auf die Konten der Konzerne gehen (Abgaben bei Produktionsquoten–Überschreitungen), 1,5 Milliarden sollen aus dem EG– Haushalt und der Rest von den Mitgliedsstaaten beglichen werden. Für das kommende Jahr ist der Start geplant, bis 1991 der Abschluß. Produktionskapazitäten in der Größenordnung von 30.000 Jahrestonnen werden nach den Vorstellungen der Kommissare vernichtet. Damit kommt man nahezu in die Dimensionen der bundesdeutschen Produktion von 37.000 t. Da die EG–Kommission nur Vorschläge präsentieren kann, die von den jeweils zuständigen Ministerrunden gebilligt oder verworfen werden, ist noch nichts amtlich. Am 23. September werden die Industrieminister zum ersten Mal darüber befinden. Walzdraht und Stabstahl will die EG–Kommission Anfang 1988 aus Quotensystem und Produktonsbeschränkungen herausnehmen. Gegen diese Teilliberalisierung der Branche haben sich die beiden SPD–Ministerpräsidenten Rau und Lafontaine in einem Brief an den Präsidenten der EG–Kommission gewandt. Eine solche Absicht setze gleiche Wettbewerbsbedingungen für alle europäischen Stahlunternehmen voraus.

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