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Handel zerstört soziale und ökologische Systeme

■ Der Schweizer Publizist Al Imfeld stellt anläßlich der UNCTAD–Konferenz in Genf in der taz zehn Thesen gegen einen freien Agrarwelthandel zur Diskussion

1. Im Zeitalter des Agrobusiness dominieren Fabrik und Handelshaus. Der Bauernhof mit gewachsenen, nachwachsenden, zyklisch in Klima und Jahreszeiten eingeordneten Rohstoffen gerät in Vergessenheit. Dabei ist es doch sofort einleuchtend, daß Kartoffel und Fritten, Kakaobohnen und Schokolade, Erdnüsse und Speiseöl nicht gleichgesetzt werden können, wenn auch das agrarische Produkt eng mit dem Rohstoff zusammenhängt. Dieser Unterschied zwischen Primär– und Sekundärbereich trennt zwar Welten voneinander, wurde jedoch in den letzten Jahrzehnten in der Agrarökonomie immer mehr verwischt. Sozial sträflich hat so die Gesellschaft aus dem Bauern einen Arbeiter und aus der Farm eine Fabrik gemacht. Von hier geht ein Grundübel unserer Gesellschaft aus: die unfaire und ungerechte Berechnung der Preise im Primärsektor. Hier klafft nicht bloß der Abgrund, sondern greift auch die neokoloniale Schere der Terms of Trade. 2. Die ungleiche Beziehung zwischen einem geernteten und gewonnenen Rohstoff und einem Produkt der (Weiter–) Verarbeitung wirkt sich tiefgreifend ins soziale und politische Alltagsleben aus. Wenn daher von Agrarprodukten heute bei GATT oder UNCTAD geredet wird, müssen wir sauber trennen. Die Erzeugnisse aus dem Primärbereich oder dem Sekundärsektor müssen unterschiedlich gewertet, eingestuft und auch vermarktet werden. - In unserem heutigen System dürfen die direkte Landwirtschaftsarbeit und ihre Ernten (Produkte) nicht gleichgesetzt werden mit Fabrikaten, die sich im Grunde weltweit und überall herstellen und daher auch weltweit in gleicher Weise verkaufen lassen. 3. Die primären Agrarprodukte sind an Zeit und Raum, an Geologie und Klimata, an Boden und Gebräuche, sozusagen an Land und Leute gebunden. Agrarprodukte haben Agrarkulturen geschaffen und umgekehrt. Ein Volk gleicht seinen landwirtschaftlichen Ernten und Früchten, und um diese herum haben sich Traditionen und Folklore gebildet. Wie die ökologischen Systeme, so muß auch das soziale Feld ernstgenommen werden. 4. Größere Vorsicht im heute schrankenlos praktizierten und weltweit geforderten Freihandel mit landwirtschaftlichen Direktproduktionen ist also geboten. Mehr Abstand und Anstand sind geboten, mehr Zurückhaltung und Ehrfurcht erforderlich. Wer einfach alles durcheinanderwirft und glaubt, alles von überallher nach überallhin schiffen und karren zu müssen, greift Fundamente der sozialen und ökologischen Ordnung an und verletzt sowohl Menschen– als auch Naturrechte; der zerstört nicht nur Kulturen, sondern handelt so, als ob Weizen eben überall auf der Welt bloß Weizen sei und Kohl keine Varianten kennt und es nur einen Apfel gäbe ... Dieser wilde Freihandel über alle Grenzen hinweg hat systematisch die Vielfalt der Produkte und die reiche Mannigfaltigkeit der Sorten und Arten zerstört. Ökono men meinen, man könne doch nicht 300 Weizensorten auf der Börse frei handeln. Logische Folge: die hybride Einheitssorte. Aber diese steht im Verhältnis zum reichhaltigen übrigen Weizen so wie in einem autokratisch geführten Staat das Militär dem Volk gegenüber. Ob Kakao oder Kokosnuß - der Freihandel nimmt ihre Identität nicht ernst: Die Verschiedenheit ist marktfeindlich; nur eine hybride Abstraktion und Einheit zahlt sich aus. 5. Der Preis solcher Agrarprodukte ist gar kein Preis im liberalen Verständnis der Ökonomie. Er ist längst das Diktat der Börse und des von ihr nach Weltdorfart vereinfachten Agrobusiness. Dieser Preis ist längst eine Diktatur. Nicht nur, daß die Bauern in aller Welt dazu nichts zu sagen haben. Auch die Faktoren Ort, Distanz, Arbeitszeit, Arbeitskontext, Kosten, Investitionen usw. sind ausgeschaltet. Und so ist dieser sogenannte freie Weltmarktpreis genauso „gestützt“ wie der von diesen Cliquen stets angeklagte Preis der subventionierten Bauern. Ja, warum soll der Bauer - genauso wie jede Bank - nicht das Recht haben, seine Kosten in den Preis voll einzubringen? So wie z.B. Banken die Risiko– und Rückversicherungen vollziehen und diese Kosten voll auf die Kunden abwälzen. Da die Welt reichhaltig und vielfältig ist, haben die Produkte vom ökologischen, sozialen, kulturellen Kontext her unterschiedliche Preise. Das in den sechziger Jahren angestrebte „globale Dorf“ war ein Wahnwitz und keine wünschenswerte Utopie. 6. Wenn schon das Verhältnis zwischen Land und Stadt in einem Staat schwierig ist, umso mehr die Beziehung mit Nachbarländern und nochmals schwieriger mit Staaten in ganz anderen Kulturbereichen. All das glaubt eine moderne Agrarökonomie auf die Seite schieben zu können. Die Ethik erfordert dringend neue Verhaltensweisen. Eine Möglichkeit dafür wäre der Handel und Austausch zwischen Nachbarn und somit auch das Aufeinanderabstimmen von Kulturen. So wie einst ein starker innereuropäischer Agrarmarkt Grundlage industrieller Entwicklung wurde, so könnte etwa ein westafrikanischer Markt entwicklungspolitisch viel wichtiger als eine UNCTAD–Forderung nach der totalen Öffnung des westlichen Agrarmarktes sein. Eine afrikanische Staatswirtschaft sollte endlich nicht länger mit einer COMECON Staatswirtschaft verglichen oder gar gleich behandelt werden. Gerade in schwachen Systemen oder jungen Staaten braucht der Agrarmarkt einen Schutz - fast so wie bei uns (für jedermann selbstverständlich!) während eines Krieges. Es ist doch einfach unmöglich, nation building zu machen oder einen Nationalstaat aufbauen zu wollen, wenn Winde von außen dauernd alles durcheinander wirbeln und schon gar nicht einmal keimen lassen. 7. Wichtiger als ein wilder Handel über alle Grenzen hinweg sind Handelsbündnisse, -abkommen und eventuell sogar Kompensationsgeschäfte ohne Geld als Medium, Counter–Trade oder Barter. 8. Je freier und beweglicher ein Land oder eine Wirtschaft sein möchte, desto diversifizierter, vielfältiger und sogar gegensätzlicher muß es/sie sein. Es gilt daher, in den Entwicklungsländern Monokulturen abzubauen. Und gerade deshalb brauchen sie während dieser Abbau–Phase einen gewissen Schutz oder eben Planung. Es darf heute keine Rohstoffabkommen ohne eingebaute Diversifikationsmaßnahmen im landwirtschaftlichen Bereich geben. 10. Zusammengefaßt: Die Aufhebung des Agrarschutzes kann höhere Güter zerstören (Ökologie, Vielfalt der Völker und Kulturen, auch pflanzliche und tierische Minderheiten, Qualität der Lebensmittel aufgrund der Standardisierung etc.). Ethisch darf daher nicht diese Qualität einem „freien Agrar–Welthandel“ geopfert werden.

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