ETA–Mitglied vorsätzlich ermordet?

■ Bei Festnahme eines mutmaßlichen ETA–Kommandos wurde eine Frau erschossen / Autopsie bestätigt den Verdacht auf Genickschuß–“Hinrichtung“ / Offizielle Stellen schweigen, Parteien kritisieren Polizeimethoden

Berlin(afp/taz) - Lucia Urigoitia Ajuria sei bei einem Feuergefecht mit der Guardia Civil umgekommen, hatte es offiziell geheißen. In der Nacht vom Mittwoch auf Donnerstag hatte die spanische Polizei im Bereich der baskischen Stadt San Sebastian eine Großaktion gegen die ETA gestartet. Dabei waren ihr neun mutmaßliche Mitglieder des ETA–Kommandos „Donostia“in die Hände gefallen. Lucia Urigoitia war dabei erschossen worden. An der offiziellen Angabe zur Todesursache bestehen mittlerweile jedoch Zweifel: Nach Berichten der spanischen Tageszeitung El Pais hat die Autopsie der Lucia Urigoitia den Verdacht bestätigt, sie sei aus größter Nähe durch einen Nackenschuß gezielt ermordet worden. Verbrennungen an den Wundrändern und mit der Wunde verklebte Haare legten diesen Schluß nahe. Während sich die baskischen Parteien äußerst kritisch gegenüber dem Verhalten der Polizei äußerten und die Linkssozialisten „Izquierda Unida“ am gestrigen Montag eine Parlamentsdebatte über den Tod der mutmaßlichen ETArra ansetzen wollten, hat sich die Regierung noch zu keiner Äußerung hinreißen lassen. Lucia Urigoitia wurde unterdessen am Samstag in der baskischen Provinz Biskaya beigesetzt. Wenn sich die offiziellen Stellen auf die Vorwürfe bezüglich Lucia Urigoitia auch nicht äußern mochten, so beeilten sie sich hingegen mit der Reaktion auf einen anderen Vorfall: Nach ihrer Festnahme waren die neun mutmaßlichen ETArras in eine Kaserne der Guardia Civil in San Sebastian gebracht worden. Am Morgen danach waren ein Untersuchungsrichter, ein Staatsanwalt und zwei Ärzte in der Kaserne aufgetaucht, um sich vom Zustand der Gefangenen zu überzeugen. Mehrere Stunden lang hatte der Richter ohne Anwesenheit von Polizisten mit den Gefangenen gesprochen. Nachdem zunächst vermutet wurde, der Richter habe verhindern wollen, daß die Gefangenen gefoltert werden, wurde später gemutmaßt, er habe sich über die Umstände der Ermordung von Lucia Urigoitia informieren wollen - beides nicht gerade zur Freude der Exekutive. Der spanische Innenminister Barrionuevo sowie der Zivilgouverneur der Region Guipuzkoa Goni äußerten sich sofort empört über die Präsenz des Untersuchungsrichters, denn durch seine Anwesenheit hätten die Verhöre unterbrochen werden müssen. Dies sei umso beklagenswerter, als die ersten Stunden nach der Festnahme gewöhnlich die besten Verhörresultate zeigten. Vermutlich wird die Aktivität des Richters für ihn berufliche Maßregelungen nach sich ziehen. Es ist ein offenes Geheimnis, daß die Guardia Civil vor allem im Baskenland regelmäßig foltert. Erst vor wenigen Tagen sind zwei Zivilgardisten in Bilbao deswegen verurteilt worden. Als Reaktion auf die Festnahme des Kommandos wurde am Freitag in der baskischen Ortschaft Eibar eine Autobombe gezündet, die acht Polizisten und mehrere Passanten verletzte. Ebenfalls am Freitag starb bei einem Anschlag im südfranzösischen Städtchen Hendaye der baskische Flüchtling Carlos Garcia Goena. Die Verantwortung übernahmen die rechtsextremen „Antiterroristischen Befreiungsgruppen“ GAL, die behaupteten, Carlos Garcia sei ein Mitarbeiter der ETA–Militar gewesen. Auf das Konto der GAL, die nachweislich von der spanischen Guardia Civil und vom spanischen Geheimdienst unterstützt wird, gingen in den vergangenen Jahren eine Reihe von Attentaten auf baskische Flüchtlinge in Frankreich. In der letzten Zeit hatten die Attentate aufgehört. Nun ist eine neue Anschlagswelle zu befürchten. -ant–