Macht die Luken dicht, die Römer kommen!

■ Während Norditalien unter Wassermassen ertrinkt, verdorrt der Süden / Wassermangel - eine Folge des Regierungs–Projekts „Wasser für den Süden“ aus den 50er Jahren / Skepsis gegenüber neuem „Ministerium für den Süden“

Aus der Basilicata Werner Raith

So mächtig sei die Zone gefährdet von „Wilden und Mördern“, von Sümpfen und überquellenden Wassern bedroht, daß sich Hohann Gottfried Seume auf seinem „Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802“ davon abhalten ließ, durch die Basilicata Richtung Kalabrien weiterzumarschieren. Von all den Schrecken ist in der Basilicata, eingerahmt von der Campania, Apulien und Kalabrien, nichts mehr zu finden. Verschwunden sind die Räuber und die Sümpfe - und das Wasser überhaupt. Wo einst der Basento und der Cavone, der Bradano und Samento fruchtbare Täler schufen, findet man heute kaum noch ein dünnes Rinnsal. Während im Norden Italiens der Dauerregen ganze Berge wegrutschen läßt, verdorrt der Süden. „Sehen Sie diesen schrecklichen Eisen–Wurm da unten?“, fragt Bernardo Gherardi aus Francavilla und zeigt von der Höhe seines Dorfes hinunter auf die gewundene Linie im Tal. Der „Wurm“, das ist eine zwei Meter dicke eiserne Wasserleitung, die vom größten Stausee Europas das Sinni–Wasser direkt am Flußbett entlang ableitet, das nun zur reinen Steinwüste geworden ist, während das Wasser im Rohr strömt - „wohlbehalten, damit es die Industriebonzen in Taranto und Bari auch frisch kriegen“, wie Bernardo zürnt. „Wasser für den Süden“ hieß das Projekt in den fünfziger Jah ren, Nutznießer sollte vor allem die wasserarme Region Apulien sein; die blühte denn auch entsprechend auf und entwickelte sich zum „Norden des Südens“. „Wenn wir fragen, was wir von alledem gehabt haben“, sagte Gianluca Amendola, der in den sechzi ger Jahren Bürgermeister war, „sagen sie, wir haben euch für die Wasserleitung jahrelang Bauaufträge gegeben, haben euch viele schöne Straßen gebaut... Doch die Straßen sind reine Durchgangspisten für Apulien, und von den Bauaufträgen gingen die großen Happen an die Apulier.“ Derzeit stöhnt Italiens Süden unter der Mittelmeer–Hitzewelle, und die Basilicata ist gezeichnet von einem schier unvorstellbaren Netz von Rissen im Erdreich. Selbst der Sinni–Stausee - der mehr als eine halbe Million Kubikmeter faßt - hat bereits wieder seine einst im Becken untergegangenen Häuser freigegeben. Erstaunlicherweise aber liest man in Italiens Zeitungen nur selten etwas über die Dürrekatastrophe, stattdessen hat das reiche Apulien eine Art Dauer–Klageabonnement in den Medien: daß das mit 1.600 Kilometern längste Aquäduktennetz irgendwo ein Loch hat, daß es vor zwei Wochen in einem Dorf für volle vier Stunden kein Wasser gegeben hat ... Konsequenz der Jammerei: die „Autocisterne“, die Trinkwasser– Lastwagen, fahren derzeit fast allesamt nach Apulien und helfen aus, wenn irgendwo die Hähne trocken sind. „An die Basilicata denken die nicht einmal im Traum“, wie sich eine Entschließung der Regionaladministration in Potenza entrüstet. „Bei uns kann sowieso die ganze Bevölkerung verrecken“, setzt ein grimmiger Stadtrat hinzu, „ohne daß die in Rom es merken würden“. Da ist was dran: Als sich herausstellte, daß die Hitze nicht nur in Griechenland unzählige Tote fordert, begann auch Italien mit dem Zählen seiner inzwischen mehr als 150 Toten. Doch merkwürdigerweise kam niemand auf die Idee, auch die Basilicata in die Statistik einzubeziehen: Lediglich Sizilien und Kalabrien tauchten auf. Dort sind mittlerweile auch staatsanwaltliche Untersuchungen im Gange, weil offenbar die meisten in Altersheimen gestorben waren und man dies nun auf mangelhafte Klimaanlagen zurückführt. „Klimaanlagen?“, höhnt da ein kommunistischer Regionalabgeordneter. Von so etwas hat man bei uns noch nie etwas gehört...“ Während Apulien durch die Bewässerung die paar Wochen Trockenheit relativ gut übersteht, weil das Land weithin grün ist, brennt auf die seit Jahrzehnten ausgetrockneten Basilicata–Zonen die Sonne gnadenlos nieder, flirrt die Luft vor Hitze. Konsequenz einer Politik, die man „schlicht als kriminell“ bezeichnen muß, wie es ein Plakat einer Bürgerinitiative in der Provinzhauptstadt Matera fordert. Weil das Wahlvolk des Südens seiner DC davonzulaufen beginnt, hat sich der neue Ministerpräsident Goria nun höchstpersönlich zum Chef des „Ministeriums für den Süden“ gemacht, um das „neue Interesse an dieser Region zu zeigen“. „Hilfe!“, warnt da ein Flugblatt in Potenza, „Rom interessiert sich wieder für uns. Macht die Luken dicht.“