: Werbung für die Angst vor Terror
■ Dem Terror und Anti–Terror auf der Spur: Stuttgarts Innenministerium lud zu einer Pressefahrt in das Ausbildungszentrum der französischen Anti–Terrorbrigade R.A.I.D. nach Paris/Bievres und in das BKA Wiesbaden / Das Schweigen der RAF oder: Der Legitimationsdruck der Ermittlungsbehörden wächst weiter
Von Dietrich Willier
Paris/Wiesbaden (taz) - Bievres, 20 km westlich von Paris. Vor den verwitterten Backsteinmauern eines ehemaligen Klosters steht ein silbergrauer PKW. Plötzlich Geschrei. Zwei Männer tauchen hinter einem der Fenster auf, dann in der Tür. Wie ein Schild schiebt einer der vermummten Männer die Pistole im Anschlag seine Geisel zum Fahrzeug und stößt sie hinein. Geduckte braune Schatten - zwei Schäferhunde namens Rataplan und Lucky Luke - jagen jetzt von zwei Seiten auf den Bösewicht zu, der feuert seine Pistole in Richtung Angreifer ab, zu spät, denn noch im Sprung verbeißen sich die beiden Kampfhunde in seine Arme, reißen ihn zu Boden und fallen über ihn her. Blitzlichter flackern, Applaus, Lucky Luke und Rataplan bekommen Maulkörbe umgehängt, der vermummte Bösewicht steht auf und klopft sich den Schmutz aus der gepolsterten Jacke. Spezialschau mit 80 Superflics Der Applaus gilt nicht dem Laienspiel durchgeknallter Mönche, sondern einer Spezialschau der französischen Anti–Terrorbrigade R.A.I.D. Die Claqueure: Der baden–württembergische Innenminister Dietmar Schlee, sein Polizeipräsident Alfred Stümper, ein paar Mitarbeiter und zwei Dutzend Journalisten. Die Idee zu dieser Schau, in der 80 Superflics agieren, hatte noch die ehemalige sozialistische Regierung. Und so residieren seit Anfang letzten Jah res die Zorros, Djangos, Waffen– und Elektronikspezialisten im ehemaligen Kloster von Bievres, lassen sich von Hubschraubern auf dem Klosterdach absetzen, hangeln im „free–climbing“ an dessen mürben Fassaden hinauf, pflegen ihr Waffenarsenal im ehemaligen Weinkeller und ihre drahtigen Leiber an den martialischen Maschinen des Fitnessraums in der früheren Klosterkapelle. Sie basteln sich ihre Spezialschuhe ebenso selbst wie Kameras hinter medizinischen Sonden und elektronisches Lausch– und Kommunikationsgerät. Ange (Engel) Mazini, eine Mischung aus Belmondo und sizilianischem Finsterling, ist stolz auf seine Truppe. Daß seine Ausbilder auch mit unmenschlichen und illegalen Formen der Informationsbeschaffung vertraut sind, soll ein Gerücht sein. Innenminister Schlee scheint weitaus beeindruckter als sein Polizeipräsident, ein Zinnteller mit schwäbischen Motiven bleibt als Gastgeschenk. Noch für dieses Jahr wird ein Wettkampf zwischen französischen und schwäbischen Superbullen vereinbart. Als es dann im Bus, eskortiert von CRS–Motorrädern durch den Abendverkehr der Pariser Peripherie zurück zum Flughafen geht, mit Martinshorn und offizieller Rücksichtslosigkeit als gelte es die gesamte Pariser Unterwelt mit einem Schlag auf frischer Tat zu stellen, freut sich nicht nur der Herr Minister über das gelungene Arrangement. „Gefahr weiterer Anschläge“, und „Der kleinste Fehler kann tödlich sein“, warnten Aufmacher der baden–württembergischen Polizeizeitung. Der Jahresbericht des Bundesverfassungsschutzes widmet sich hauptsächlich der RAF, deren Sympathisanten und Unterstützer, einer sog. „2. kämpfenden Ebene“, und „illegalen Militanten“. Undifferenziert werden der Mord an Siemens–Direktor Beckurtz, dem Diplomaten Gerold v. Braunmühl und Sabotageakte an Überlandleitungen genannt. Verfassungsschutzberichte der Länder folgen dem Beispiel. Die RAF, so heißt es da, sei ihrem Ziel, dem Euro–Terroris mus, ein großes Stück näher gekommen, beste Verbindungen bestünden zur französischen „Aktion Directe“, den belgischen Kommandos von FRAP und CCC, und gute zu den italienischen Roten Brigaden. Europaweit müsse mit weiteren Anschlägen auf den „politisch–militärisch–industriellen Komplex“ gerechnet werden. Attentate auf französische Militärs und Industrielle hatten das Bild abgerundet. Der baden–württembergische Verfassungsschutzpräsident hält gar das Kidnapping von Kindern für eine zukünftige Aktionform der RAF. Doch die Fighter der belgischen „kämpfenden Kommunistischen Zellen“ wie ein Großteil französischer Aktivisten der Action Directe sitzen in Hochsicherheitstrakten, die RAF schweigt seit der Ermordung des Gerold v. Braunmühl. Ist gerade das so gefährlich? Ohne Feind keine Ehr Um das wenig Plausible verständlich zu machen, wollte der baden–württembergische Innenminister nicht einfach nur zum Tete–a–tete mit der jungen, elastischen Truppe französischer Anti– Terror–Spezialisten laden, auch sollte das barocke Diner im Pariser Mercure Galant und eine Nacht im Hilton erst durch eine gründliche Aufarbeitung des historischen Terrorismus erworben werden. Von der „ideenreichen Politik kleiner Schritte“ hin zur europäischen Fahndungsunion, zu EUROPOL und zum europäischen Datenabgleich sollten sich die baden–württembergischen Medienschaffenden im Vorfeld des Besuchs in Bievres ein Bild machen. Und was liegt da näher als auf der Vogelfluglinie der Terrorismusbekämpfung, Stuttgart– Wiesbaden–Paris, dem Bundeskriminalamt und Interpol eine Aufwartung zu machen. Das Innere des BKA erinnert an eine Regieanweisung von Peter Hacks: Zwischen Pforte und dem Salon des Hausherrn liegen mehrere Kilometer Gänge. Ist man erst einmal hinter die Mauern des riesigen Betonkomplexes geraten, spielen Herkunft und Weltanschauung keine Rolle mehr, man gehört quasi dazu, freundliche Aufmerksamkeit allenthalben. Mit 3.600 Beschäftigten verrichten hier heute viermal soviele Menschen ihr Tagwerk wie noch zu Beginn der Terroristenfahndung, das Budget des Hauses hat sich in derselben Zeit mehr als verzehnfacht - stolze 350 Millionen. Ein expandierendes Unternehmen. 150 Milliarden DM, so ist zu erfahren, heißt es, verschlingt allein die Wirtschaftskriminalität in der BRD. Um aber auch nur einige der Täter dingfest zu machen, müssen wohl noch weitere Legionen eingestellt werden. 20 Personen, heißt es, umfasse die Kommandoebene der RAF, doch seit Sybille Haule im vergangenen Jahr beim Eisschlecken geschnappt wurde, tappen die Terroristenfahnder im Dunkeln. Der internationale Drogenhandel kennt weder Maß noch Grenze, doch selbst erfahrene Drogenhunde konnten nicht verhindern, daß der Markt besser floriert den je. Kriminelle Banden agierten immer raffinierter, jammern die Kriminalisten und schauen betreten in ihre 1,2 Mio. Kriminalakten, auf die 1,7 Mio. Fingerabdrücke und die 2,2 Mio. Konterfeis ihrer Lichtbildsammlung. Wo der Erfolg trotz Riesencomputer und feinster technologischer Hilfsmittel versagt bleibt, kann der Berg zukünftiger Gefahren nicht schauerlich genug beschrieben werden. BKA unter Legitimationsdruck Im RAF–Umfeld jedenfalls, so der etwas dröge BKA–Präsident Boge, ganz intuitiv kurz vor dem Kantinenmahl aus Leberkäse und Kartoffelsalat, im RAF–Umfeld tue sich etwas, „das spüre man ja förmlich“. „Bewegungen“ von RAF–Sympathisanten in Richtung der französischen Grenze habe man festgestellt, die europäische Guerilla und deren Zusammenarbeit entwickele sich. Mit relativem Erfolg habe man zahlreiche Personen und deren Wohnungen durchsucht, habe gar „Substanzen“ wie Zucker und Unkraut–Ex, aber auch Feuerlöscher, Draht, Wecker, Glühbirnchen und Batterien gefunden - geeignet zum Herstellen von Bomben - zu einem richterlichen Haftbefehl sei es jedoch trotz der Funde kaum gekommen. Der Grund: Viele Juristen sind zum Leidwesen des BKA immer noch der Ansicht, daß solche Materialien eigentlich in jedem beliebigen Haushalt zu finden seien. Derart von der Justiz im Stich gelassen empfinde man auch gegenüber dem Bürger Unbehagen, wenn festgenommene Personen wegen Mangels an Beweisen auf freien Fuß gesetzt werden müßten. Dennoch, die Sicherheitskräfte erwarten ständig neue Anschläge der RAF, schließlich „stünde ja auch die unter erheblichem Legitimationdruck“ und riskiere ihren Ruf als Führungskader. Und der Legitimationdruck auf die Ermittlungsbehörden? Die RAF, von BKA–Beamten „anerkennend“ als „Gegner“ bezeichnet, verliert als Symbol ohne Aktion ihre öffentliche Gefährlichkeit. Da drängt sich schon der Eindruck auf, der Präsident des Bundeskriminalamtes und seine Spezialisten benötige geradezu neue Anschläge, um die Reputation des Amts wiederherzustellen und öffentliche Hatz, Repression und Fahndung wieder begründen zu können. Auch für die erneute Diskussion der sog. „Kronzeugenregelung“ käme wohl ein so erwarteter Anschlag der RAF ausgesprochen gelegen. Daß sich Abgeordnete mit „ethischen Problemen“ durchgesetzt haben, scheint dem BKA–Präsident ein Dorn im Auge. Er jedenfalls will sich für eine Neuauflage der Debatte einsetzen. In der Tiefgarage des BKA, von Scheinwerfern angestrahlt, ist mittlerweile das ganze Horrorszenario terroristischer Asservate aufgebaut worden. Da liegen neben Peter Jürgen Boocks Raketenschußanlage die großkalibrigen Revolver und Colts mehrerer RAF–Generationen, gefälschte Ausweise und Autoschilder aus Erddepots bis zur Panzerfaust, mit der das Auto des US–Generals Kroesen bei Heidelberg beschossen worden war. Da stehen leere Gasflaschen und Feuerlöscher zum Bau von Bomben und ein Kommissar erklärt, wie aus haushaltsüblichen Substanzen der Sprengstoff dazu gemischt werden kann. Zu sehen ist auch das durch Spot–lights schaurig in Szene gesetzte zerbombte und zerfetzte Fahrzeug des Dr. Beckurtz und seines Fahrers, mit blutverschmierten Sitzen. Alles ganz nah, und das Anfassen erlaubt. Später, die Beklemmung hat sich kaum gelöst, am Lufthansaschalter des Frankfurter Flughafens kurz vor dem Abluf nach Paris, eine Live–Inszenierung des BKA: Vor der Glasfront der Schalterhalle fahren Einsatzfahrzeuge der Polizei und ein Schützenpanzerwagen auf. Beamte in kugelsicheren Westen decken mit Maschinenpistolen und Schnellfeuergewehren den Eingang, andere von einer Ballustrade die Halle, das Gepäck von Fluggästen wird kontrolliert. Neben uns der Abfertigungsschalter der israelischen Fluggesellschaft - vergangenes Jahr waren hier Menschen von einer Kofferbombe zerfetzt und verstümmelt worden. Im Airbus nach Paris gibt es kalte Häppchen, Burgunder und Rote Grütze.
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