P O R T R A I T Der „Tiger“ ist tot

■ Camille Chamoun war Botschafter, Minister und Präsident des Libanon / 1976 verantwortlich für das Massaker von Tell–Zataar / Gestern in seinem Geburtsort beerdigt

Aus Beirut Petra Groll

Beirut (taz) - Camille Nimr Chamoun, einer der ganz Großen in der Riege der alten Politiker des Libanon, ist am Sonntag in seinem Geburtsort Deir el Kamar, einer ehemals von maronitischen Christen bewohnten Kleinstadt in den drusischen Shoufbergen, beerdigt worden. Am Freitag nachmittag war Chamoun im Ostbeiruter St.George Hospital an Herzversagen gestorben. Während der 87jährige Spitzenpolitiker von seinen Freunden als „schlauer Tiger“ (arabisch: nimr) geliebt wurde, haßten ihn seine Feinde als hinterhältigen Fuchs. So oder so beherrschte Chamoun nach mehr als 50 Jahren Erfahrung und Aktivität auf nationaler wie internationaler Politbühne die Klaviatur seines Metiers spielend. Mit 29 Jahren wurde der 1900 geborene Sohn eines Verwaltungsfunktionärs des Osmanischen Reiches zum ersten Mal Abgeordneter. Als Botschafter, Minister und Präsident war er an allen historischen Entscheidungen über die Zukunft des unabhängigen Libanon beteiligt. Während seiner Präsidentschaft (1952) wurde das für die libanesische Wirtschaft so vorteilhafte Bankengesetz eingeführt, das dem Land den Ruf als „Schweiz des Nahen Osten“ einbrachte. Als nach der ersten Bürgerkriegsphase 1958 Chamoun die Hegemonie der maronitischen Großbourgeoisie in Gefahr sah und einen Sieg der moslemischen Opposition befürchtete, wandte er sich an die USA und erreichte die Entsendung von 5.000 Marines in den Libanon. Von 1958–68 widmete der Rechts– und Finanzexperte sich vor allem der von ihm selbst gegründeten „national–liberalen Partei“ und deren Miliz, den „Tigern“, die seit 1986 von seinem jüngeren Sohn Dany geführt werden. 1968 wieder ins Parlament gewählt, vertrat Chamoun zusammen mit Raymond Edde und dem Chef der „Phalange“, Pierre Gemayel, die Politik des „dreimal nein“: gegen den Kommunismus, gegen den arabischen Einfluß in Libanon und gegen eine Militärregierung. Ab Mitte der siebziger Jahre bestimmte die antipalästinensiche Einstellung des damaligen Innenministers Chomoun entscheidend den neuen Ausbruch des Libanesischen Bürgerkrieges (75/76). Folgerichtig schickte er seine „Tiger“ zusammen mit den Milizen des Franco–Anhängers Gemayel im August 76 gegen das Palästinenserlager Tell–Zataar, wo sie ein Blutbad unter der Flüchtlingsbevölkerung anrichteten. Seit 1976 vereinigte Chamoun als Präsident der „Libanesischen Front“ die zerstrittenen christlich–maronitischen Politiker. Chamoun, zuletzt als Finanzminister tätig, hinterläßt eine Lücke und viele Fragezeichen in der politischen Szene Libanons. Wer, wenn nicht Chamoun, wäre ein von allen Seiten tolerierbarer Präsidentschaftskandidat für die Wahlen im kommenden Jahr? Und wer brächte es fertitg, mit den Führern des Maronitenlagers umzugehen, die sich Spinnefeind sind, wenn nicht Chamoun, der Generalissimo ohne Armee?