: Weg mit den Knebelverträgen - Freie Bierwahl für alle!
■ Knebelverträge mit Brauereien machen vielen Gastwirten das Leben schwer, nur wissen die meisten noch nichts von den geltenden EG–Bestimmungen. Die könnten nämlich in der festgefügten Vertragslandschaft zu erheblichen Erdrutschen führen und so manchen Kneipier aus der Abnahme–Fron befreien.
Von Klaus Schindler
3.700 Hektoliter Bier - das sind mehr als sechs vierachsige Kesselwaggons der Deutschen Bundesbahn oder eine Batterie von 925.000 Gläser a 0,4 l. Bei etwas wärmerem Sommerwetter ist solch eine Fülle von köstlich–kühlem Naß eigentlich eine angenehme Vision, für den Wirt eines Berliner Ecklokals ist das aber für lange Zeit eine Horrorvorstellung. Genau diese Menge sollte er nämlich unters trinkfreudige Volk bringen, bevor ihn seine Brauerei in ferner Zukunft einmal aus dem Bierlieferungsvertrag entlassen würde - genug, um ganze Stammkundschafts–Generationen abzufüllen. Die aber mochten das angestammte Bräu mittlerweile nicht mehr so recht und wanderten zusehends in andere Lokale ab. „Der Laden läuft nicht mehr“, so erklärte der besorgte Kneipenchef eines Abends einem Stammgast, „wenn ich hier nicht noch ein anderes Bier an die Leitung hänge.“ Gesagt, getan. Monatelang wetteten die beiden, wann es soweit sein würde, schließlich kam die Klageschrift - die Brauerei war vor den Kadi gezogen. Der Stammgast war wahrhaft treu und außerdem Profi: ein Berliner Rechtsanwalt, der sich der Sache annahm. Mehr als die Hälfte aller deutschen Gastwirte ist mit Lieferungsverträgen fest an eine bestimmte Brauerei gekettet. Früher war so ein Kontrakt für beide Seiten eine attraktive Angelegenheit, denn die Bierfirmen vergaben zu günstigen Konditionen Gelder für Einrichtung und Ausstattung und verhalfen vielen Neulingen zum Aufbau einer eigenen Existenz. Inzwischen weht im Restaurationsgewerbe ein härterer Wind, so manche hoffnungsvolle Kneipe ist den Bach hinunter und viele Wirte hoffnungslos verschuldet. Wer aber bei den Banken keinen Kredit mehr bekam, dem konnten die Brauer derbe Konditionen aufs Auge drücken. Ein typischer Bierlieferungsvertrag wurde dann z.B. mindestens auf zehn Jahre abgeschlossen, aber auch zwanzig Jahre und mehr waren keine Seltenheit. Mindestabnahmemengen erreichten oft genug schwindelnde Höhen, obendrein hatte der Vertragspartner dann auch noch sämtliche „Softdrinks“ (also Cola, Limo, Mineralwasser etc.) ausschließlich aus dem Sortiment und zu den Preisen des Bierlieferanten abzunehmen. Eine zusätzliche Biersorte von der Konkurrenz zu ordern war ihm ohnehin verboten. Der anwaltliche Stammgast machte sich ans Werk, und nach seinen Recherchen könnte bald alles ganz anders werden. Die Signale kommen aus Brüssel: Erst kürzlich erschütterte der EG–Gerichtshof das bundesdeutsche Brauerei–Imperium und brachte das Reinheitsgebot zu Fall, da steht schon wieder eine neue Attacke ins Haus. Bis zum 31.12.1988 müssen alle bestehenden Wettbewerbsnormen der EG angepaßt werden, ansonsten drohen sie mit diesem Datum, null und nichtig zu werden. Die EG–Kommission hält nämlich die deutsche Vertragspraxis für wettbewerbswidrig und hat in einer „Gruppenfreistellungsverordnung“ Richtlinien herausgegeben, nach denen während dieser Gnadenfrist zu verfahren sei. Bei den Brauern stiften die Regelungen derzeit allgemein Verwirrung, denn die rigide Festlegung auf das Sortiment einer Bierfirma ist offenbar genausowenig zulässig wie die Anbindung an Preise für die „Softdrinks“. Das hieße in der Praxis, daß ein Wirt, der mit Pils und Export vertraglich gebunden ist, durchaus auch ein Kölsch oder Alt seiner Wahl mit ausschenken dürfte. Bei Cola oder Selter könnte er sich gar nach attraktiven Billigangeboten umsehen und dort auch zuschlagen, falls seine Brauerei bei den niedrigeren Preisen nicht mitziehen will. Theoretisch könnte er sogar neue „Softdrinks“ in die Getränkekarte aufnehmen, wenn sein Vertragspartner die gewünschte Marke nicht anbietet, Coca statt Pepsi oder Fachinger statt Okertaler zum Beispiel. Auch die Laufzeiten wurden neu geregelt. Demnach sind bei Nur–Bier–Verträgen nur noch bis maximal zehn Jahre und bei Bier+Softdrink–Verträgen maximal fünf Jahre zulässig. Mittlerweile hat man bei den Brauereien kalte Füße bekommen. Neuabschlüsse werden stillschweigend zu günstigeren Konditionen gemacht, bei Nachfragen gibt man sich bedeckt. Außerdem scheint bis dato niemand so richtig durch den EG–Paragraphendschungel hindurchzufinden, keine der beiden Seiten hat bisher ihren Standpunkt bis in die höchste Instanz durchgefochten, eine veröffentlichte Rechtsprechung liegt nicht vor. Auch die Gerichte mögen sich nicht mit komplizierten EG–Reglements in die Nesseln setzen und neigen durchweg zu salomonischen Vergleichen - meist zugunsten der Wirte. Eines ist jedoch sicher: Für die klassischen „Knebelverträge“ ist Hopfen und Malz verloren. Grund genug für viele Gastronomen, einmal in ihre Vertragsbücher zu schauen, besonders, wenn sie älteren Datums sind - möglicherweise gibt es Grund zum Aufatmen. Unser Berliner Eck–Kneipier konnte jedenfalls mit dem Anwalt seines Vertrauens nach dem Prozeß auf einen Gast–freundlichen Vergleich anstoßen - mit dem ersten „legalen“ Fremd–Bier des Lokals.
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