In Neuseeland weht ein anderer Wind

■ Trotz ihrer ultraliberalen Wirtschaftspolitik stehen die Chancen eines Wahlgewinns für die Labour–Party gut / Hauptsächlich über die Anti–Atompolitik konnte sich Premier Lange bei seinen Landsleuten profilieren

Von Nina Boschmann

Berlin (taz) - Wohl kaum eine andere sozialdemokratische Regierung der westlichen Hemisphäre würde die Ergebnisse einer Wirtschaftspolitik politisch überleben, mit denen Neuseelands Labour Partei aller Wahrscheinlichkeit nach die heute stattfindenden Parlamentswahlen satt gewinnen wird: Seit der 44jährige Rechtsanwalt und Nachfahre deutscher Auswanderer, David Lange, 1984 zum Premier gewählt wurde, sind Inflationsrate, Zinssätze und Arbeitslosenzahlen auf nie gekannte Rekordhöhen gestiegen, die Auslandsverschuldung hat sich auf heute über 27 Millarden Dollar verdreifacht. Nach drei Jahren Labour–Ägide im „Bienenkorb“, wie das runde Parlamentsgebäude in Wellington auch genannt wird, hatten die Hälfte der Kumpels in den Minen und ein Drittel der Forstarbeiter ihren Job verloren. 6.000 Angestellte der staatlichen Eisenbahngesellschaft wurden wegrationalisiert, die Reallöhne sinken. Und auch die Weidewirtschaft, Farmer und ihre Zulieferindustrien stehen vor dem Ruin. Doch Lange, der sich nach eigenem Bekunden „den Minderbemittelten moralisch verpflichtet fühlt“, ficht das nicht an: „Helft euch selber“ oder „Vergeßt den Schmerz, unterstützt die Reformen“ empfiehlt er auf Wahlveranstaltungen den Opfern der Krise und verkündet ungerührt, in Zukunft erwarte sie „mehr vom gleichen“. Und, oh Wunder, das Wahlvolk honoriert die Geißel auch noch. Zwar gilt die Labour–Regierung als herzlos, kehren ihr Frauen, Landbewohner und Stammwähler scharenweise den Rücken, doch 45 bringt. Ansehen und Charisma von David Lange sind unbeeinträchtigt, während Oppositionsführer Jim Bolger, ein 54jähriger Farmer von der Nord insel, zwar beliebt ist, aber kaum bewundert wird. Des Rätsels Lösung: die Labour–Regierung hat es geschafft, sich mittels einer ultraliberalen Wirtschaftsspolitik die Unterstützung großer Teile der Geschäftswelt zu sichern und sich gleichzeitig durch eigenständige Akzente in der Außenpolitik ein ausreichend progressives Image zu bewahren. Als Lange 1984 an die Regierung kam, befand sich Neuseeland - ausgelöst durch den Beitritt Großbritanniens zur EG - in einer tiefen Strukturkrise. In den vorausgegangenen zwei Dekaden waren die terms of trade für die mehrheitlich agrarischen Exportprodukte (Wolle, Milch, Fleisch) um 30 jedoch angesichts der EG–Überschüsse immer schwieriger. Die Zahlungsbilanz geriet aus dem Gleichgewicht, hohe Unterstützungszahlungen an die Farmer belasteten zunehmend die Staatskasse. Und der Plan des Anfang der 80er Jahre amtierenden konservativen Premiers Muldoon, vorrangig eine Reihe aufwendiger „Think Big“–Projekte zu fördern, hatte das Problem zusätzlich verschärft. Die große Stunde von Roger Douglas war gekommen, der in den folgenden Jahren als Finanzminister der Labourregierung nach dem Vorbild der Reagonomics und des Thatcherismus ein umfassendes Privatisierungs– und Liberalisierungsprogramm initiierte, das inzwischen schon als Rogernomics bezeichnet wird. In atemberaubendem Tempo und bevor die Parteibasis so recht begriff was geschah, gab er mit Langes Rückendeckung den Wechselkurs frei, beseitigte Subventionen, kippte Beschränkungen für ausländische Beteiligungen an inländischen Unternehmen, führte die Mehrwertsteuer ein und fing an, Banken und die Ölgesellschaft Petrocorp zu privatisieren, und drückte andere, drastische Rationalisierungsprogramme aufs Auge. Gleichzeitig setzte Lange ein Wahlversprechen um und verbot nukleargetriebenen Schiffen, in Neuseelands Häfen einzulaufen. Ein Schritt, den er persönlich nicht gewollt hatte, auf Druck der Partei aber schließlich durchführen mußte. Der darauffolgende Bruch des ANZUS–Verteidigungspaktes mit den USA und Australien war von Lange ebenfalls nicht gewollt, trug aber nichtdestotrotz zur Popularität des Premiers bei. Und als er schließlich Frankreich zwang, die Versenkung des Greenpeace–Schiffes Rainbow Warrior im Hafen von Auckland zuzugeben und Entschädigung zu zahlen, war sein Image als nationalistischer Führer perfekt. Selbst die Konservativen wagen es heute nicht ernsthaft, an dieser Anti–Atompolitik zu rütteln. Da Douglas Wirtschaftskurs von der Mehrheit der großen Wirtschaftsführer gestützt wird, bleibt Oppositionsführer Jim Bolgar auch hier wenig mehr als das Wehklagen über die Pleiten, während der Finanzminister seine Bitte um ein weiteres Mandat damit begründet, sein Job sei erst halb getan. Denn auch in anderen Ländern seien erst nach Jahren die Früchte derartiger Programme sichtbar geworden.