Sklavenhändler in Frankreich: Schwarzarbeit im „Untergrund“

■ „Untergrundarbeiter“ sind in Frankreich etwa so zahlreich wie die offiziell registrierten ausländischen Arbeitskräfte / Nur die abgelegensten Provinzen kennen diese Beschäftigungsvariante nicht / Tummelplatz der Sklavenhändler ist wie überall das Baugewerbe / Bei vielen „ehrbaren“ Firmen arbeiten Illegale und Legale zusammen

Paris (afp/taz) - Die „Untergrundarbeit“ von behördlich nicht–angemeldeten Beschäftigten oder Betrieben in Frankreich dürfte nach Schätzungen des französischen Bauunternehmerverbandes pro Jahr einen „Geschäftsumsatz“ von über 60 Milliarden Francs darstellen, der sich dem Zugriff des Fiskus und der Sozialversicherung entzieht. Das Dokumentations– und Informationszentrum der Versicherungsgesellschaften setzte diese Dunkelziffer zwar kürzlich halb so hoch an, doch sind sich beide Stellen einig, daß 800.000 Personen, in ihrer großen Mehrheit Ausländer, ihr Leben als illegal Beschäftigte und somit ohne jeglichen Rechts– und Sozialschutz fristen. Diese Zahl ist in etwa genauso hoch wie die der ausländischen Gehaltsempfänger im Lande. In Frankreich leben gegenwärtig rund 4,5 Millionen Ausländer. Laut einer Erhebung des Statistikamtes INSEE gab es 1983 in Frankreich etwas mehr als 900.000 ausländische Gehaltsempfänger, nach jüngsten Zahlen des Pariser Sozialministeriums, die auf alle drei Jahre vorgenommenen Untersuchungen über die Unternehmen mit mehr als zehn Beschäftigten fußen, bezogen im Dezember 1985 insgesamt 788.000 Ausländer in Frankreich ein Gehalt und machten somit 8,3 Pro zent der Gehaltsempfänger aus. Nach einer anderen Statistik stellten sie 1982 einen Anteil von 6,6 Prozent an der erwerbsfähigen Einwohnerschaft Frankreichs dar. An erster Stelle der ausländischen Arbeitnehmer in Frankreich stehen die Portugiesen (mehr als jeder vierte), gefolgt von den Algeriern, Marokkanern, Italienern, Spaniern, Tunesiern und Schwarzafrikanern. Der Wirtschaftssektor mit den meisten ausländischen Beschäftigten ist das Baugewerbe; im Automobilsektor geht ihr Anteil zurück. „Untergrundtätigkeit“ von illegal beschäftigten Ausländern gibt es ebenfalls vor allem im Bausektor, aber auch in der Textilbranche, dem Automobilsektor sowie dem Hotel– und Gaststätten gewerbe. Tätigkeitsfelder sind außer Paris selbst - hier vor allem die „Chinatown“ und der Vorstadtgürtel - die Industrieregionen des Nordens und von Lyon sowie Südostfrankreich. In die Schlagzeilen geriet dieser Tage das Problem bei der Aushebung eines Schmugglerringes an der Cote dAzur, der nach Überzeugung der Behörden in etliche Landesteile illegal portugiesische Arbeiter vermittelte. Zum Stundenpreis von 20 Francs und somit unter dem gesetzlichen Mindestlohn, der zur Zeit bei 27,84 Francs pro Stunde liegt, wurden Menschen verscherbelt. Von dem Übel des systematischen Einsatzes illegaler Arbeiter zu oft niedrigster Bezahlung und unter schlechtesten Arbeits– und Wohnbedingungen, scheint im großen und ganzen laut einer jüngsten Untersuchung nur die weitgehend ländlichen Regionen Bretagne und Limousin ausgenommen zu sein. Aufgedeckt werden die Fälle nicht–angemeldeter Arbeitskräfte bei Firmen, die ihrerseits sehr wohl behördlich registriert sind, meist bei Routinebesuchen eines Inspektors. Im vergangenen Jahr wurden auf diese Art 1.808 Verstöße gegen das Arbeitsrecht - Einschleusung ausländischer Arbeiter nach Frankreich und ihre Beschäftigung, Benutzung gefälschter Behördenpapiere oder gefälschter Buchführung - festgestellt, fast hundert mehr als ein Jahr zuvor. Ein Drittel der Verstöße wurden im Raum Paris gezählt. Bei den illegalen Arbeitern verschiebt sich die Nationalität weg von den EG–Ländern. Sie scheinen zum größten Teil aus Südostasien zu stammen, aber auch aus Jugoslawien, der Türkei, Pakistan, Schwarzafrika und den Maghreb– Ländern. Erschwert wird die Arbeit des 1980 in Paris geschaffenen „Komitees zum Kampf gegen den Schmuggel mit Arbeitskräften“ dadurch, daß „Untergrundwerkstätten“ immer mehr aus Paris fortziehen und die Auftraggeber die Schwarzarbeit immer häufiger aufsplitten und in Wohnungen verrichten lassen. Die „legalen“ Firmen, die illegal Ausländer beschäftigen, haben meist eine größere Zahl ordentlich angemeldeter Angestellter, damit die Geschäftspraktiken nicht ins Auge fallen. In Grenoble wurden im Frühjahr vier Thailänder ausgewiesen, die ein Schneider angeheuert hatte, um Aufträge rechtzeitig zu erfüllen; er ließ sein „geheimes Personal“ über zwölf Stunden lang täglich arbeiten und auf einem Strohlager in der Werkstatt nächtigen. In Valenciennes in Nordfrankreich ging der Besitzer eines kleinen Unternehmens für Friedhofsartikel ins Netz der Justiz, nachdem er zum Teil 17 Jahre lang zehn Personen illegal für sich arbeiten ließ, drei von ihnen zu nicht mehr als fünf Francs die Stunde. Angesichts des bekannten und noch mehr des vermuteten Ausmaßes dieser „Sklaven–Arbeit“–Praktiken sind die Ermittlungsergebnisse Tropfen auf den heißen Stein. geo