Poker um Standort der VW–Produktion

■ Die Wolfsburger Konzernzentrale entscheidet über den Standort der zukünftigen Nordamerika–Produktion / Ausbau in Puebla (Mexiko) oder Westmoreland (USA)? / Örtliches Management in Puebla sieht seine Chancen durch den Arbeitskampf der Belegschaft bedroht

Von Martin Kempe

Berlin (taz) - Es geht nicht allein ums Geld - jedenfalls nicht um jene Summen, die zur Erfüllung der Lohnforderungen der mexikanischen VW–Arbeiter nötig wären. Denn eine Erhöhung der Jahreslohnsumme von rund 40 Millionen Mark im mexikanischen Zweigwerk (bei einer derzeitigen Inflation von jährlich über 100 Prozent) würde nicht einmal ein Zehntel der Summe ausmachen, die sich der VW–Konzern durch Devisenschmuggler im letzten Jahr aus der Tasche hat ziehen lassen. Bedrohlich ist die Forderung der mexikanischen VW–Arbeiter für das örtliche Management in Puebla vor allem deshalb, weil es dadurch Nachteile im Poker um den Standort der zukünftigen Nordamerika–Produktion befürchtet. Spätestens bis Mitte nächster Woche soll nach Informationen der taz in der Wolfsburger Konzernzentrale die Entscheidung getroffen werden, wo künftig die Produktion für den nordamerikanischen Markt konzentriert werden soll. Notwendig wurde diese Entscheidung deshalb, weil sich der Aufbau der Produktionsstätte in Westmoreland im US–Staat Pennsylvania als Fiasko herausgestellt hat, das heute als eine der größten Verlustquellen die Konzernbilanz belastet. Auf 800 bis 1.000 Einheiten täglich war das US–Werk ausgelegt worden. Heute laufen jedoch nur rund 300 Volkswagen vom Band, die Auslastung beträgt gerade mal 30 Prozent. Derzeit stehen in der VW–Konzernspitze zwei Optionen zur Auswahl: die Konzentration der Nordamerika–Produktion in Westmoreland unter Einbeziehung des kanadischen VW–Niederlassung oder der Ausbau von Puebla, Mexiko, zur zentralen Produktionsstätte für den nordamerikanischen Markt. Natürlich wird VW das prestigeträchtige US–Abenteuer nicht sang– und klanglos abbrechen und damit in aller Öffentlichkeit eine Niederlage auf dem nord amerikanischen Markt einräumen. Es geht also weder in Westmoreland noch in Puebla um eine vollständige Liquidierung des Standorts. Dennoch wird die jetzt anstehende Entscheidung weitreichende Folgen vor allem für den Standort haben, der vor dem Wolfsburger Olymp keine Gnade gefunden hat. Schließlich geht es nicht allein um die Konzentration der Endmontage an einem Standort, sondern vor allem auch darum, welches Zweigwerk bevorzugt in den weltweiten Produktionsverbund des VW–Konzerns einbezogen werden soll. Derzeit werden z.B. in Mexiko ebenso wie in Kassel jene Hilfsrahmen für den Audi 80 produziert, die dann zur Endmontage nach Deutschland geliefert werden und jetzt im Kasseler VW– Werk zu einer Auseinandersetzung über Streikbrecherarbeit geführt haben. Ähnliches gilt für die Produktion von Rumpfmotoren, die sowohl in Mexiko als auch in Salzgitter produziert und dann in Salzgitter komplettiert werden. Fällt die Entscheidung für Mexiko, ist zu erwarten, daß diese Form des Produktionsverbundes noch weiter intensiviert wird. Fällt sie dagegen für den US–Standort, wird für Mexiko lediglich die Produktion von arbeits– und materialintensiven Teilen übrigbleiben, abgesehen von der geringfügigen Fertigmontage für den mexikanischen Binnenmarkt. In dieser Situation sieht das Management in Puebla seine Chancen durch den Arbeitskampf bedroht. Denn der Trumpf von VW–Mexiko im Poker um die Standortfrage sind die niedrigen Löhne. Nur so ist VW–Mexiko in der Lage, mit einem Produktionsstandort innerhalb der Vereinigten Staaten zu konkurrieren, der keinerlei Zollschranken zum US– Markt zu überwinden hat. Das VW–Management in Puebla sieht seine Rettung darin, gegenüber den Streikenden Härte und Durchsetzungsfähigkeit zu beweisen - eine Haltung, in der es nach Informationen der taz durch die Wolfsburger Zentrale gestützt wird. Schließlich ist eine starke, erfolgreiche Gewerkschaftsbewegung in einem Betrieb, dessen Konkurrenzvorteil gerade in der Unterbezahlung seiner Arbeitskräfte besteht, nicht die beste Empfehlung bei der Standortfrage. Die VW–Manager in Puebla konnten sich in den vergangenen Monaten der Rückendeckung durch die Wolfsburger Konzernzentrale sicher sein. Im Gegensatz zum Gesamtbetriebsrat in Wolfsburg und zur IG Metall hat man in der Spitze des deutschen Weltkonzerns schon seit April/Mai mit dem Arbeitskampf in Mexiko gerechnet und entsprechende Vorbereitungen getroffen. Diese Vorbereitungen betrafen weniger die Fertigmontage, als jene Verbundteile, die in Mexiko produziert und in andere VW–Werke zugeliefert werden. Man läßt die mexikanischen Arbeiter streiken und „managed die Folgen“. Eine ernsthafte Produktionsstörung aufgrund des wochenlangen Streiks in Mexiko ist nicht zu erwarten.