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Ausbildung 2000 - alter Kack in neuem Frack?

■ Neue Ausbildungsordnung im Metall– und Elektrobereich leitet die von den Gewerkschaften initiierte Qualifizierungsoffensive ein / Drastische Reduzierung der Berufsbilder soll einseitiger Spezialisierung und Fachidiotie ein Ende setzen / Rund 200.000 Ausbildungsverhältnisse sind von der Reform betroffen

Von Maria Eick

Bochum (taz) - Die Berufe des Maschinenschlossers, Betriebsschlossers oder Mechanikers wird es in Zukunft nicht mehr geben. Dafür steht der „Industriemechaniker/in, Fachrichtung Produktionstechnik“ oder „Fachrichtung Maschinen– und Systemtechnik“. Doch nicht nur die Namen ändern sich mit der Neuordnung der industriellen Metall– und Elektroberufe, die ab 1. August in Kraft getreten ist. Auch inhaltlich hat sich einiges getan: Früher holten sich die Lehrlinge beim monatelangen Feilen Blasen an den Fingern, um einen U–Stahl „bis zur Maßgenauigkeit von plus/minus 0,2 mm“ zu fertigen. Nun hat sich der Ausbildungsabschnitt „manuelles Spanen“ (d.h. Feilen, Sägen, Meißeln, Gewindeschneiden) auf acht Wochen reduziert. Einen breiteren Platz bekommen Fragen des Arbeits– und Tarifrechts, der Arbeitssicherheit, des Umweltschutzes und der rationellen Energieverwendung. Auch die Anzahl der Berufe verringert sich durch die Neuordnung drastisch. Statt bisher 37 sogenannten Mono–Berufen (das sind die guten, alten Facharbeiter) wird es nun noch sechs Berufe im Metallbereich ge ben; in der Elektroindustrie gibt es statt zwölf nur noch vier Berufe. Die Ausbildungszeit beträgt für alle dreieinhalb Jahre. Einseitige Spezialisierung soll vermieden werden, statt dessen ist breiteres Wissen, auch im Bereich der modernen Technologie gefragt. Rund 200.000 Ausbildungsverhältnisse sind von der Reform betroffen. „Ein Weg zur Qualifizierung des Facharbeiters für das Jahr 2OOO“ - so preist der Arbeitgeberverband Gesamtmetall die Neuerung. „Mit der Schaffung von weniger Grundberufen haben wir die Weichen für die künftige betriebliche Berufsausbildung gestellt“, erklärt IG–Metall–Vorstandsmitglied Hans Preiss. Skepsis bei den Jugendvertretungen Jubel, Trubel, Heiterkeit auf der ganzen Linie. Dennoch hat es acht Jahre gedauert, bis das neue Konzept stand. Bis 1989 haben die Betriebe Zeit, die Neuordnung umzusetzen. Hans Preiss zeigte sich diesbezüglich auf einer Pressekonferenz im Januar optimistisch: „Der Bundesminister für Wirtschaft hat in diesen Tagen die Ver ordnungstexte im Bundesgesetzblatt veröffentlicht. Damit sind die Voraussetzungen für einen glatten Start in den neuen Berufen in diesem Ausbildungsjahr geschaffen. Die Betriebe wissen, welche Inhalte (...) auszubilden sind. Sie haben also genügend Zeit, um sich vorzubereiten und die Planungen abzuschließen.“ ..und plötzlich wird der Ausbilder zum Kollegen Die Jugendvertreter Bettina, Kerstin und Martin bei Opel/Bochum haben da eher Zweifel. Sie versuchen seit drei Jahren, mit der Ausbildungsleitung einen Arbeitskreis zur Neuordnung zu gründen, der sich Gedanken über die konkrete betriebliche Umsetzung machen soll. Dieser Arbeitskreis ist bis heute nicht zustandegekommen. „Erstmal alles auf die lange Bank schieben“, war laut Martin die Devise der Firmenleitung. Jetzt ist es soweit, und die Jugendvertretung bekommt seitens der Firmenleitung nur unzureichende Richtlinien vor die Nase gesetzt. Die Ausbilder bei Opel haben sich fachlich weitergebildet. Über das Fachwissen hinaus wünscht sich die Jugendvertretung eine andere Form der Wissensvermittlung als den bisher üblichen Frontalunterricht. Gruppenarbeit, bei der projektbezogen von den Auszubildenden „selbständiges Planen, Durchführen und Kontrollieren“ erlernt werden soll, ist das didaktische Zauberwort. „Sechsecktische für die Gruppenarbeit sind vorhanden“, berichtet Bettina. Doch Möbelstücke allein schaffen keine neuen Inhalte. „Bisher war der Ausbilder derjenige, der bestimmte, wo es langgeht, plötzlich soll er Kollege sein“, beschreibt Martin das Problem. Auch die Berufsschule soll ihren Beitrag zur veränderten beruflichen Ausbildung leisten. Gefordert sind zwei Berufsschultage mit mindestens zwölf Wochenstunden, während derzeit nur acht Stunden Unterricht gegeben werden. Doch die Berufsschulen sind meistens nicht sonderlich gut mit moderner Technik ausgestattet. Hauptschüler wieder benachteiligt Zudem kann rein statistisch gesehen ein Lehrer 51 Schüler unterrichten. Auch wenn der schulische Lehrplan fertig ist, so sind grundsätzliche Probleme nicht geklärt. „Die Ausbildung ist so zu gestalten, daß auch Hauptschüler mitkommen können“, wird in der Neuordnung appelliert. Der Pferdefuß liegt jedoch in der betrieblichen Einstellungspraxis. Durch die höheren Anforderungen ist den Arbeitgebern das Argument geliefert, die schlechter qualifizierten Hauptschüler nicht einzustellen, da sie einfach nicht mitkommen können. Ausbildungsplätze werden zudem oft in trauter Mauschelei - auch mit dem Betriebsrat - nach dem Erbhof– Prinzip vergeben, das zuallererst die männliche Nachfolge regelt. Rein theoretisch stehen die neuen Metall– und Elektroberufe auch jungen Frauen offen; alle Berufsbezeichnungen kommen sowohl in der männlichen als auch in der weiblichen Form vor. Dennoch sind in den Metallberufen erst 1,6 Prozent aller Auszubildenden Frauen. Bettina gibt zu bedenken: „Auch wenn der Betrieb Mädchen ausbildet, so haben sie bei einem Firmenwechsel viel schlechtere Einstellungschancen als Jungen.“ Es ist zwar nicht mehr der „kürzere Daumen“, aber immer noch die nicht vorhandene Damentoilette, die als Argument für die Weigerung der Unternehmer herhalten muß. Indes scheint die Neuordnung, zumindest bei Opel, keine positive Auswirkung auf die Zahl der Auszubildenden zu haben. Sie sinkt beständig. Während Opel 1986 noch 142 gewerblich–technische Lehrlinge ausbildete, waren es 1987 noch 129. Für die kommenden Jahre ist eine Reduzierung auf 100 Lehrstellen geplant. Die Opel–Lehrlinge bekommen nach der Ausbildung einen halbjährigen Zeitvertrag. Nach der Lehre in die Leere? Bettina fürchtet: „Die Arbeitgeber werden die Neuordnung dazu nutzen, die Zahl der Ausbildungsplätze zu verkürzen, denn durch die höheren Anforderungen könne nur eine kleinere Lehrlingszahl bewältigt werden.“ Insgesamt beurteilt die Jugendvertretung die Neuordnung positiv. Knackpunkt ist jedoch die Umsetzung. „Wir haben die Neuordnung gemacht, macht ihr die Umsetzung“, so der Standpunkt der IG Metall. Leicht gesagt, denn ohne die Hilfe der Gewerkschaft werden die Jugendvertretungen und Betriebsräte dabei nicht vorankommen.

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