: Prawda zum Nationalitätenproblem: „Es ist nicht alles in Ordnung“
■ Parteiorgan greift erstaunlich schnell jüngste Unruhen im Baltikum auf / Leserbriefe zum Thema veröffentlicht / Über 100 sowjetische Nationalitäten / Keine Lösungsvorschläge für Konflikte
Moskau (afp) - Im Anschluß an die Demonstrationen vom Sonntag im Baltikum anläßlich des 48. Jahrestages des Hitler–Stalin– Pakts von 1939, durch den Lettland, Estland und Litauen der Sowjetunion zugeschlagen worden waren, räumte das Moskauer Parteiorgan „Prawda“ am Dienstag ein, daß zwischen den verschiedenen Nationalitäten der Sowjetunion „nicht alles in Ordnung“ sei. Unter dem Titel „Aus einem einzigen Ursprung“ befaßt sich die Prawda mit „negativen Strömungen“ der vergangenen Jahrzehnte und stellt fest, daß der Konflikt erst in den letzten Monaten verstärkt aufgekommen sei. Hochgespielt wurde das Problem Prawda zufolge durch die „Ereignisse“ in Alma Ata im vergangenen Dezember, wo es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen gekommen war, nachdem man den lokalen Parteiführer durch einen Russen ersetzt hatte. Außerdem durch den „gewalttätigen Versuch von extremistischen Krimtataren“ im Juli. Ohne Lösungsvorschläge für die Konflikte zwischen den über 100 sowjetischen Nationalitäten zu nennen, veröffentlichte die Zeitung Leserbriefe zu dem Problem. Ein Leser beklagte sich, daß in russischen Schulen der Ukraine - wo es wie in den anderen 14 Sowjetrepubliken einheimischsprachige Schulen gibt - Englisch und Deutsch Pflicht–, Ukrainisch aber nur Wahlfach ist. Ein anderer schrieb, eine Gruppe von Ukrainern habe dem lokalen Rat in Kharkow geschrieben, um gegen die Abschaffung der offiziellen Zweisprachigkeit der Stadt zu protestieren. Nach den Demonstrationen der Krimtataren, die die Erlaubnis für die Rückkehr auf die Krim forderten, von wo sie während des Zweiten Weltkrieges deportiert worden waren, hatte Prawda in einem Artikel zu einer „realistischeren“ Behandlung der Nationalitätenfrage aufgefordert.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen