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Entsteinter HSV

■ Hamburger SV - FC Homburg 3:0 / Minusrekord im Volkspark

Aus Hamburg Nikolas Marten

Siebzig Tage nach dem glücklichen DFB–Pokalsieg im ausverkauften Berliner Olympiastadion wollten gerade 3.500 Rundlederfetischisten ihren im Bundesliga– Abstiegskampf bisher erfolglos spielenden HSV gegen die „Bayernkiller“ aus Homburg sehen. Während der Lokalrivale und mögliche Relegationsgegner um den Klassenerhalt, der FC St. Pauli, vor doppelt so starker Kulisse mit 0:3 von Blau–Weiß 90 Berlin ausgekontert wurde, gestaltete der HSV das hanseatische Pokalergebnis mit einem kampfvoll herausgespielten 3:0 gegen die Saarländer ausgeglichen. Der spärlichste Anhang seit Bestehen der Bundesliga in einem Pflichtspiel feuerte die völlig verunsicherte Hamburger Elf von Beginn frenetisch an, während die Homburger mit aggressiver Gangart und wildem Gebolze versuchten, die Einheimischen zu verunsichern. Der HSV brauchte eine Viertelstunde, um durch Kaltz ein Elfmetergeschenk nach artistischer Sturzschwalbe zur Führung zu nutzen. Dem vom Liberoposten in den Sturm zurückbeorderten Gründel blieb es vorbehalten, nach polnisch–artistischer Vorarbeit Okonskis das 2:0 (35.) zu erzielen, als Homburgs Keeper Scherer das einzige Mal in diesem Pokalmatch am Ball vorbeihechtete. In der zweiten Hälfte der niveauarmen, von Nervosität und Langeweile geprägten Partie gab es nur wenig Schreibenswertes. In der 73. Minute versenkte Kastl nach effetvoll gezirkelter Ecke vom zu Recht gefeierten Gründel die Lederkugel per Kopf zum 3:0–Endstand. Kurz zuvor war Okonski, dessen Fußgelenk ein harter 20m–Schuß wohl wenig gepaßt hatte, vom Platz gehumpelt. Die Ommerschen Modellathleten kamen in neunzig Minuten nur einmal gefährlich in die Strafraumgefilde Pralijas, der erneut hilflos wirkte. Seit der HSV ohne Uli spielt, wirkt die gesamte Abwehr versteinert. In der Bundesliga durfte Pralija bisher alle 24 Minuten das Leder aus den Maschen puhlen. Die Abwehr kassierte in gerade drei Wochen mehr Gegentore (17) als in der gesamten Hinrunde der Vorsaison. So war es auch nur der Unfähigkeit der Abschreibungself, die sich wohl schon vor Anpfiff abgeschrieben hatte, zu verdanken, daß man zum erstenmal ein Spiel „zu null“ abschloß. Zudem war der gegen Bayern doppelt erfolgreiche Wolfgang Schäfer, zur Zeit Ballsklave im Stall Ommers, nach frechen Interviews erstmal auf die Bank verbannt worden: „Achillessehnenabriß, Kniespiegelung, Jochbeinbruch mit Augenbodenfraktur - und das alles nur fürs schöne Geld? Irgendwann ist Schluß mit dem Fußball.“ Drei Tage nach dem Mittwochdebakel (0:4 gegen den Karlsruher SC) hatte der HSV im hundertsten Jahr seines Bestehens die Tage mit Pressekonferenzen, Präsidiumssitzungen, Aussprachen und Interviews gefüllt. So verkündete Präsident Klein weder schüchtern noch nüchtern zusammenhanglos, wieviel „Arschlöcher“ er doch während seiner zur Neige gehenden Amtszeit kennengelernt habe, derweil sich der Vereinsrest mit Zweckoptimimus verbreitenden Durchhalteparolen begnügte. Ob Trainer Skoblar, studierter Betriebswirt, Kaschmiranzugliebhaber und Pavarotti–Fan, den ersten Schnee auf dem Rasen des Volksparkstadions noch erleben wird, darf auch nach der gegen die Homburger gezeigten Leistung bezweifelt werden.

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