: Kaputte Urlaubsidylle macht Alpen kaputt
■ Der Wirtschaftszweig Fremdenverkehr hat in den letzten Jahrzehnten die Alpen ruiniert / 40 Millionen Touristen jährlich / 40.000 Skipisten / 12.000 Lifte und Bahnen
Von Martin Herbst
Sie sehen aus wie überdimensionale Beton–Mischmaschinen: Etwa 350 „Schnee–Kanonen“ zu 1,5 Millionen Mark das Stück bomben die Berge allwinterlich geradewegs ins Kunstschneezeitalter - ein jüngerer Auswuchs der alpinen Freizeitindustrie. Zehn Millionen Quadratmeter Bergland können mit dem pappigen Kunstschnee gleichzeitig berieselt werden. Im Kampf ums Geld der Alpentouristen scheint sich die Investition zu lohnen: Vor allem an Weihnachten soll das Skivergnügen gesichert werden, so der Kleinwalsertaler Fremdenverkehrsdirektor Werner Fink. Umweltschützer kritisieren den Wasserverbrauch (2.500 Liter pro Minute) der Maschinen und die Beständigkeit des Kunstschnees, dem auch noch häufig Chemikalien beigemengt werden. Er kann die Vegetationszeit verkürzen und beim Heuertrag Einbußen bis zu 30 Prozent verursachen. Aber: „Schnee ist halt unsere Lebensgrundlage“, so ein alpiner Skilift–Betreiber. Der Kanonen–Wahn fällt unter die Rubrik „Alpen–Erschließung“. Der 1.200 Kilometer lange und 200 Kilometer breite Gebirgskamm hat sich in den letzten Jahrzehnten zum gigantischen europäischen Freizeitpark entwickelt. Insgesamt hat sich seit 1950 die Zahl der Bergtouristen alle sieben Jahre verdoppelt, angeheizt durch die Fremdenverkehrswerbung. Heute sind es 40 Millionen jährlich. Mit zunehmendem Tourismus wuchs auch die Siedlungs dichte. In manchem bayerischen Alpental liegt die Bevölkerungszahl mit 300 Einwohnern pro Quadratmeter mehr als doppelt so hoch wie der Landesdurchschnitt. 300.000 Menschen leben in Bayern vom Fremdenverkehr, die meisten in den Alpen. Rekordjahr im Freistaat Für Bayern war 1986 ein Rekordjahr: Auf 86 Millionen Übernachtungen, die Hälfte davon in den Alpen, brachten es die Besucher des Freistaates. In der Schweiz waren es etwa 75 Millionen, in Österreich pennte die ganze Bundesrepublik: 60 Millionen Übernachtungen. Das Urlaubsvolk braucht Raum: Zwischen 1970 und 1985 nahm etwa in der Schweiz die Zahl der touristisch genutzten Ferienwohnungen von 110.000 auf 250.000 zu. Das Bettenangebot in Hotels und Pensionen wurde zwischen 1966 und 1985 um 40.000 erweitert, heute sind es rund 300.000. In die gesamte Beherbergungskapazität wurden 20 Milliarden Franken investiert. In der Touristik–Branche machte sich zeitweise Goldgräber–Mentalität breit, immer mehr Gäste wurden ins gelobte Bergland gelockt. Wo Ferienorte aus den Nähten platzten, wurden einfach neue aus dem Boden gestampft. Jede Sekunde verschwindet in der Schweiz ein Quadratmeter Kulturlandschaft unter Beton und Asphalt. Belohnung: Das Bruttoeinkommen aus dem Tourismus beläuft sich in der Schweiz auf 16,5 Milliarden Fränkli, das sind acht Prozent des Bruttoinlandprodukts. Allein die ausländischen Touristen gaben 1985 zehn Milliarden Franken aus. 350.000 Schweizer leben vom Fremden verkehr. Und damit der rollende Rubel nicht zum Stehen kommt, wurden die Berge mit Straßen überzogen für die Trabis sowjetischer Glasnost–Profiteure....? - d.K., mit einem Netz von Seil– und Sesselbahnen geknebelt (insgesamt 12.000) und mit rund 40.000 Skipisten vernarbt. Allein in Bayern wurden zwischen 1976 und 1984 111 Bergbahn– und Liftprojekte in Angriff genommen. Bis zu 20 Millionen Fahrgäste karren die bayerischen Bahnen (900 Schlepplifte, 97 Seilbahnen) jährlich den Berg hinauf. Nach Wirtschaftsminister Jaumann sind die Bahnen „ein unverzichtbarer Bestandteil des Fremdenverkehrs, ohne sie wäre der Aufschwung des Wintersports, der Sportartikelbranche und des Fremdenverkehrs unmöglich gewesen“. Von „Kaputterschließung“ könne nicht die Rede sein. Liftsubventionen Wer Lifte in die Berge baute, der konnte in den letzten Jahren verstärkt mit der Unterstützung des Freistaates rechnen: Wurden Ende der 70er Jahre noch rund 850.000 Mark jährlich als Baudarlehen gewährt, waren es Anfang der 80er bereits 2,2 Millionen Mark - plus Zuschüsse. 38 der 51 Bergbahnprojekte zwischen 1981 und 1984 berühren ein Landschaftsschutzgebiet. 23 Lifte tangieren kartierte Biotope. Die Zahl der Seilbahnen in Österreich stieg zwischen 1955 und 1973 auf das Zehnfache, die Transportkapazitäten zwischen 1973 und 1983 auf das Doppelte. In der Schweiz baggern in der Hochsaison 1.200 Skilifte und 500 Seil– und Zahnradbahnen bis zu 1,2 Millionen Bergfreunde pro Stunde die Hänge hinauf. Wo früher Rindviecher Narben in den Hang traten, sind es heute die Urlauber - großflächige Erosionen sind die Folge. Skipisten reißen Löcher in den Wald. Wurden in Tirol 1964 noch 17,4 Hektar für Skipisten gerodet, waren es 1972 bereits 127 Hektar, per anno, versteht sich. Ski–Langlauf wurde lange als Ausweg aus der Misere gesehen. Die Schweiz etwa wird allwinterlich von 6.000 Kilometer Loipen durchschnitten. Nach einer Untersuchung des Schweizerischen Fremdenverkehrsverbandes haben dadurch verursachte Belastungen immer mehr zugenommen: Zwei bis drei Tonnen schwere Loipenspurmaschinen und Hunderttausende Langläufer belasten den Boden. Der Heuertrag sank stellenweise um 15 bis 32 Prozent, außerdem benötigen Loipensysteme neue Parkplätze. Der Ski–Langlauf habe sich, so die bayerische SPD–Fremdenverkehrsexpertin Christa Harrer, durch „explosionsartige Zunahme“ in eine „Gefahr für die Umwelt“ verwandelt. Zugenommen hat auch der KFZ–Verkehr in den Alpen, über den Brenner wälzen sich alljährlich neun Millionen PKW und 900.000 LKW und emittieren Tausende Tonnen Schadstoffe, hauptsächlich Stickoxide, die als eine der Hauptursachen des Waldsterbens gelten werden. Zumindest bei der EG weiß man schon, wie das Brenner–Nadelöhr beseitigt werden kann: Durch eine 40 Kilometer lange Röhre durch den Karwendel und einen 45 Kilometer langen Durchstich durch den Alpenhauptkamm ...
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen