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Richtlinienkompetenz

■ Interpretation zu Kohls 180–Gradwende

Er habe schnell entscheiden müssen und deshalb von seiner Richtlinienkompetenz Gebrauch gemacht, beteuerte gestern der Kanzler in der Pershing–Debatte vor dem Bundestag. Was mag den Kanzler bewogen haben, einen Regierungsstil zu praktizieren, zu entscheiden, und auch noch schnell, in einer Art, der seinem Naturell gänzlich entgegensteht? Und obendrein mit seiner Entscheidung auch noch 14 Tage vor Landtagswahlen in Schleswig–Holstein und Bremen einen Streit im Regierungslager vom Zaun zu brechen, der sich gewaschen hat? Hatte gar des Kanzlers Freund „Ron“ den behäbigen Pfälzer dazu genötigt? Aus einer dem Magazin Stern vorliegenden Erklärung des US–Außenministeriums läßt sich dies schließen. Daraus ist ersichtlich, daß die USA einen Tag vor Kohls angekündigtem Verzicht auf die Pershing 1a den Sowjets einen noch weitergehenden Vorschlag in Genf unterbreitet haben. Als Grundlage für eine Vereinbarung über die Verifizierung der Abkommen wird in diesem Papier angeführt: „die Verschrottung aller Mittelstreckenraketen kürzerer Reichweite innerhalb eines Jahres und die Verschrottung aller Mittelstreckenraketen längerer Reichweite“, und „ein Verbot der Modernisierung, Produktion und Testflüge solcher Raketen“. Bekannt ist auch, daß noch am selben Abend, an dem dieser Vorschlag in Genf auf den Verhandlungstisch gelegt worden war, Kohl „intensiv“ mit dem Weißen Haus telefonierte. Einen Tag später stellte er sich der Presse und verkündete einen Verzicht auf die Modernisierung der Pershing 1a und deren Verschrottung. Einzige Variante in der Initiative, wie Kohl seinen Vorstoß selbst nannte: die deutschen Pershing 1a werden erst verschrottet, wenn die anderen verschrottet sind, also nicht binnen eines Jahres. Der amerikanische Vorschlag in Genf, eine Erklärung für Kohls „180–Gradwende“, wie es die CSU nennt. Hatte doch Kohl im Mai diesen Jahres Strauß noch in „beschwörender Form“ (CSU) klargemacht, warum man „nie und nimmer“ zulassen dürfe, daß die deutschen Pershing in den amerikanisch–sowjetischen Abrüstungspakt einbezogen werden dürfen. Und jetzt die Wende. Kohl beruft sich auf die Richtlinienkompetenz, auf welche, auf die Washingtons? Dagegen dürfte nun auch die CSU wahrlich nichts einzuwenden haben. woz

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