: Die Euro–Raketen haben ausgedient
■ Pershing–Debatte im Bundestag / Atomares Faustpfand für die BRD oder Verhandlungsmasse der USA?
Dem CDU–Rechtsaußen Alfred Dregger gelang in der gestrigen Bundestagsdebatte ein logischer Doppelsalto: Als Fraktionsvorsitzender der CDU/CSU, die sich im Vorfeld auf Nicht–Streit verständigt hatten, mußte er die Kanzler– Erklärung zum Verzicht auf die Pershing–1A–Modernisierung begrüßen und begründen. Doch seine Argumente hätten eher für eine Rede mit völlig gegenteiligem Ziel gepaßt. Zwar machten die Pershing 1A nur einen Anteil am militärischen Potential von o,oo14 Prozent aus, doch entscheidend sei ihre politische Bedeutung: „Sie sind ein Gemeinschaftsunternehmen der USA und der Bundesrepublik Deutschland. Sie machen wie kein anderes Waffensystem deutlich, daß sich die USA mit uns gemeinsam für unsere Sicherheit verantwortlich fühlen. Das ist aber gerade das, was die Sowjetunion stört.“ Das „Gemeinschaftssystem“ Pershing 1A sei ebenso wenig wie Drittstaatensysteme Gegenstand der Genfer Verhandlungen. Der Verzicht auf die Modernisierung sei an Bedingungen ge bunden, die „frühestens 1992“ erfüllt sein könnten. Wie vorher das Beharren auf den 72 Raketen ein Faustpfand in der Hand der Bonner Regierung sein sollte, so wird jetzt der Verzicht zum neuen Faustpfand uminterpretiert. Der CSU–Mann Alfred Biehle, Vorsitzender des Verteidigungsausschusses, brachte es auf den Punkt: „Der Verzicht ist eine Vorleistung der Bundesrepublik und ein Faustpfand für weitere Verhandlung, ein Signal an die Sowjetunion, ihre Überrüstung drastisch zu reduzieren.“ Im Blick haben die kalten Krieger der Fraktion dabei die sowjetischen SCUD–Raketen, „die von der doppelten Null–Lösung nicht erfaßt werden und denen auf westlicher Seite kein Gegengewicht gegenübersteht“ (Dregger). Genscher: Bedrohung spürbar verhindert Unter dem weitem Mantel der angeblichen Einigkeit innerhalb der Koalition prallten auch völlig gegensätzliche Einschätzungen über den Wert einer doppelten Null– Lösung für die Bundesrepublik aufeinander: Während Außenminister Genscher sagte, ein Abkommen in Genf würde „die auf uns gerichtete Bedrohung spürbar vermindern“ und das Zustandekommen dieses Abkommens sei darum besonders in deutschem In teresse, vertrat Dregger, dieses Abkommen nütze „am wenigsten uns Deutschen“. Denn: „Deutschland wird durch die doppelte Null–Lösung einer atomaren Sonderbedrohung unterworfen, die es bisher nicht gegeben hat; denn außerhalb strategischer Reichweiten wird es nach der doppelten Null–Lösung im wesentlichen nur noch ein Land in Europa geben, das durch landgestützte Raketen der Weltmächte getroffen werden kann, nämlich Deutschland beiderseits der Teilungsgrenze.“ Über diese Differenzen hinweg grinste Kanzler Kohl selbstgefällig während der gesamten Debatte. Daß er, als die Amerikaner in Genf bereits den Modernisierungsverzicht anboten, mit seiner Bonner Pressekonferenz gerade noch die Kurve gekriegt hatte, hörte sich aus dem Mund des Pfälzers so an: „Nach vielfältigen Kontakten mit den amerikanischen Freunden habe ich mich entschlossen, zu den Pershing 1A die Initiative zu ergreifen.“ Wenn es derzeit in Genf die große Chance für ein Abkommen gebe, sei das „ganz wesentlich ein Verdienst der Bundesrepublik“. Wirkliche Einigkeit konnten die Kolationsfraktionen demonstrieren, als es darum ging, die Vorwürfe und Anträge von SPD und Grünen abzuschmettern. Hans–Jochen Vogel bezeichnete es als „schlimme Brüskierung der Volksvertretung“, daß der Kanzler eine Regierungserklärung vor dem Parlament verweigerte, und hielt Dregger vor, „noch nie sei ein Fraktionsvorsitzender von seinem eigenen Kanzler so desavouiert“ worden. Doch die gutgemeinten Spaltungsversuche der SPD ins Koalitionslager hinein landeten im Abseits. Daß die SPD trickreich die alte Kanzler–Presseerklärung nun zum eigenen Antrag erhob, ersparte diesem Antrag nicht das Schicksal, daß denen der Grünen widerfuhr: Sämtliche Begehren wurden mit den Stimmen der Koalition ohne Abweichler an die Ausschüsse überwiesen. Die Grünen hatten die sofortige Verschrottung der Pershing 1A gefordert, sowie die Verankerung des Atomwaffenverzichts im Grundgesetz, sich aber auch für die Behandlung des SPD–Antrags eingesetzt. Empört zurückgewiesen wurden von sämtlichen Rednern aus dem Koalitionslager die Vorwürfe von SPD und Grünen, die BRD wolle einen Finger am atomaren Abzug haben. Der SPD– Abgeordnete Scheer sagte: „Der unverhohlene Anspruch, Dritt– Staaten–Systeme zu besitzen, verstößt gegen elementare völkerrechtliche Verpflichtungen.“ Mit dem Beharren auf den Pershing 1A sei international das Mißtrauen geweckt worden. Angelika Beer (Grüne) begründete den geforderten Atomverzicht im Grundgesetz damit, „das Trauma von der deutschen Atombombe“ müsse in Ost und West beseitigt werden. Außenminister Genscher und sein Fraktionskollege Mischnick bezeichneten diese Vorwürfe als „schädlich für das nationale Interesse“. Durch diese Anschuldigungen werde, so Mischnick, „das klare Bild von der Bundesrepublik als Nicht–Atom–Staat international in Frage gestellt. Der Freidemokrat: „Es gibt eben auch Dritt–Staaten, die nur Trägersysteme haben.“ Charlotte Wiedemann
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