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Erst Folter, jetzt militärischer Drill

■ Hungerstreiks in türkischen Knästen bringen Mißstände ans Tageslicht / Von Antje Bauer

Über das Ende des Hungerstreiks in türkischen Gefängnissen widersprechen sich die Meldungen. Während das Info–Büro Türkei in Hannover davon ausgeht, daß der Hungerstreik abgebrochen ist, meldet der „Menschenrechtsverein“ in Ankara, ungefähr 1.000 Häftlinge hungerten jetzt noch in verschiedenen Gefängnissen des Landes. Im Istanbuler Sagmalcilar–Gefängnis hatte im Juli der Hungerstreik für menschenwürdige Behandlung seinen Ausgang genommen. Die Regierung hat bislang keine konkreten Zugeständnisse gmacht. Erschütternd sind die Berichte von Journalisten, die erstmals die berüchtigten Militärgefängnisse besuchen durften.

„Sollen sie doch sterben, ich töte sie doch nicht“, hatte der türkische Justizminister Oltan Sungurlu getönt, als im Juli die ersten politischen Gefangenen in den Hungerstreik traten. Er hatte wohl nicht damit gerechnet, daß der Hungerstreik der 24 Gefangenen im Istanbuler Sagmalcilar–Gefängnis in vielen anderen Knästen des Landes aufgegriffen werden würde und fast zwei Monate durchgehalten wurde. Nach Angaben des Informationsbüros Türkei ist der Hungerstreik jetzt beendet. Insgesamt sollen etwa 1.000 Gefangene in Istanbul, Malatya, Eskisehir, Bartin, Erzincan und Gaziantep im Hungerstreik gewesen sein. Die Forderungen der Gefangenen, obwohl je nach Knast etwas unterschiedlich, zielen auf die gleichen Mißstände: Sie beklagen schlechte Ernährung, die die Gefangenen krank macht, völlig unzureichende medizinische Versorgung, mangelnden Freigang, zu wenig Besuchserlaubnis, Pressezensur; vor allem aber protestieren sie gegen die 1983 eingeführte Einheitskleidung und gegen das Anlegen einer langen, dic ken Kette an Stelle von Handschellen, wenn sie transportiert werden (s.Kasten). Die Gefängnisbehörden rechtfertigen das Anlegen dieser Kette mit Sicherheitsgründen, die Gefangenen sehen darin jedoch - wie in der Einheitskleidung - den Versuch, ihnen ihre Würde zu nehmen und sie dadurch psychisch zu brechen. Die Inhaftierten berichten in der Tat, daß sich der Strafvollzug in den türkischen Knästen in den letzten Jahren verändert hat. Nur in wenigen Anstalten wird noch regelmäßig gefoltert und geschlagen, dafür werden die Gefangenen einer ständigen Gehirnwäsche ausgesetzt, indem sie gezwungen werden, Sprüche des Staatsgründers Atatürk auswendig zu lernen, täglich die Nationalhymne abzusingen und einem paramilitärischen Drill unterliegen. Womit der Justizminister bei seiner harschen Reaktion wohl auch nicht gerechnet hatte, war die hartnäckige Solidaritätsarbeit der Angehörigen der Gefangenen. Sie haben sich in einem Verein namens Tayad zusammengeschlossen und sorgen seit Beginn des Hungerstreiks durch ständige öffentliche Aktionen dafür, daß die Zustände in den Knästen nicht länger verschwiegen werden können. Am 2. August führten 17 Familienangehörige vor dem Istanbuler Sagmalcilar–Gefängnis einen Sitzstreik durch und wollten sich dem Hungerstreik der Gefangenen anschließen. Alle wurden festgenommen, nur fünf von ihnen wurden inzwischen freigelassen. GAL– und AL–Mitglieder fördern Unterstützerkreis Auch 14 Angehörige politischer Gefangener in Izmir, die am 21. August einen Sitzstreik durchführten, sind in Haft gekommen, auch gegen sie wurde ein Verfahren eröffnet. Die anderen Angehörigen hinderte das nicht daran, weiter durch Pressekonferenzen und Sitzstreiks auf das Anliegen der Gefangenen aufmerksam zu machen. Im August war zur konstituierenden Sitzung der Tayad eine siebenköpfige Gruppe aus Hamburg und Berlin angereist, zu der auch je ein GAL– und ein AL– Mitglied gehörten. Neben einem Solidaritätsbeweis wollte die Gruppe, die sich eine Woche in Istanbul aufhielt, auch die Angehörigen beschützen. Die staatlichen „Sicherheitsorgane“ reagierten mal mit Zurückhaltung, mal mit brutalen Knüppeleinsätzen auf die Aktionen. Als eine Gruppe von mehreren hundert Angehörigen am vergangenen Montag am Ende einer Rundreise in Ankara eintraf und vor dem Parlamentsgebäude einen Sitzstreik durchführen wollte, griff die Polizei ein und prügelte die Menge auseinander. Die 52jährige zuckerkranke Didar Sensoy, Gründungsmitglied des „Menschenrechtsvereins“, einer Gruppe von Intellektuellen, die sich ebenfalls um die Belange der Gefangenen kümmern, fiel bei der Prügelorgie in Koma und starb kurz darauf im Krankenhaus. Didar Sensoys Bruder ist zum Tode verurteilt und sitzt im Istanbuler Metris–Gefängnis ein. Einige anderen Frauen wurden auf die Nachricht von Didar Sensoys Tod ohnmächtig und mußten ebenfalls ins Krankenhaus gebracht werden. Das Vorgehen der Polizei wurde vor allem von Mitgliedern der sozialdemokratischen Partei SHP scharf kritisiert, während der Generalstaatsanwalt in Ankara ungerührt erklärte, 40 Festgenommene, davon 38 Familienangehörige der Gefangenen und zwei Journalisten, würden nun vernommen. „Demokratur“ wird in linken Kreisen die Türkei sieben Jahre nach dem vorerst letzten Militärputsch genannt. Die Regierung unter Turgut Özal, die hartnäckig darauf hinarbeitet, die Türkei zum EG–Mitglied zu machen, bemüht sich, dem Land wenigstens einen Anschein von Demokratie zu geben. So sind Prügelorgien gegen Angehörige von Gefangenen, Verhaftungen und Prozesse wegen Meinungsdelikten zwar immer noch an der Tagesordnung. Dennoch erhielten Journalisten dieser Tage zum ersten Mal die Gelegenheit, sich die berüchtigten Militärgefängnisse von innen anzusehen. Journalistenbesuch in Militärgefängnissen Die Berichte der Besucher sind erschütternd. Unter dem Titel: „Gefängnis oder Gefangenenlager?“ berichtet die Tageszeitung Cumhuriyet über das berüchtigte Militärgefängnis Mamak in Ankara: Die Gefangenen dürfen 30–40 Minuten im Freien herumlaufen. Früher hatten sie nur einmal pro Woche Freigang. Nun können sie zweimal am Tag die Zelle verlassen, aber am Samstag und Sonntag gibt es gar keinen Freigang. Über einen solchen Hofgang berichtet die Zeitung: „Im Hof haben sich Soldaten aufgestellt, mit Knüppeln in den Händen. In diesem von Soldaten bewachten Hof drehen die Gefangenen in Einheitskleidung schweigend ihre Runden. Es ist verboten, beim Hofgang zu reden...“ Gefangene, die sich als undiszipliniert erweisen, werden in gesonderte Zellen gesteckt. Die Existenz dieser Zellen wurde zunächst vom Gefängnisdirektor geleugnet, schließlich konnten sich die Journalisten diese Zellen doch ansehen: Eine kleine Eisentür, mit drei Schlössern behängt, durch die sich ein Mensch nur mühsam zwängen kann, führt in einen winzigen Raum ohne Frischluftzu fuhr und Licht, es stinkt durchdringend, die Wände sind naß, das Bett ist naß, hinter dem Bett steht eine kleine Toilette - das ist alles. Bis zu zehn Tage lang kann ein Gefangener in einer solchen Zelle festgehalten werden. Atatürk–Parolen und Sonderzellen Es ist ein Wunder, wenn man hier nicht krank wird. Die Wände im Mamak–Gefängnis dürfen von den Gefangenen nicht beklebt werden. Überall hängen Bilder des Staatsgründers Atatürk, seine Sprüche, seine Reden. Die Gehirnwäsche mit Atatürk–Sprüchen wird im berüchtigten Militärgefängnis von Diyarbakir, in dem großteils Gefangenen der „Kurdischen Arbeiterpartei“ PKK einsitzen, durch Sprüche ergänzt, die die Kurden zu Türken machen sollen: „Sprich Türkisch, sprich viel“ oder: „Jeder Türke ist zum Soldaten geboren.“ Auch in Diyarbakir gibt es die Zellen ohne Wasser und Licht, auch dort sind die Wände übersät mit türkischen Fahnen und Posters mit dem Konterfei des Staatsgründers. Im Militärgefängnis Metris in Istanbul treffen die Journalisten auf den Dichter Nevzat Celik, der wegen pro–kurdischer Publikationen seit 7 1/2 Jahren im Knast sitzt. Celik erzählt, er werde immer noch bei jeder Gelegenheit geprügelt, und er könne sich als Dichter nicht betätigen. „Es gibt große Kommunikationsprobleme“, sagt er. „Sie lassen meine Gedichte nicht raus. Ich muß sie also auf illegalen Wegen herausschmuggeln. Im Knast kann ich sie auch nicht behalten, denn bei Durchsuchungen können sie beschlagnahmt oder vernichtet werden.“ In Metris ist wenigstens die Lektüre von Gedichtbänden erlaubt. In Mamak ist selbst dies verboten. Ein Gefangener, der zum Soldaten gemacht werden soll, wird durch Gedichte nur verdorben.

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