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„Ohne die FMLN–Guerilla gibt es keine Lösung“

■ taz–Interview mit Eduardo Calles, Vizepräsident der mit der FMLN verbündeten Revolutionären Demokratischen Front (FDR) El Salvadors zum Abkommen von Guatemala

Das Friedensabkommen, das die Präsidenten der fünf mittelamerikanischen Länder am 7. August in Guatemala unterzeichnet haben, hat in El Salvador den Hoffnungen auf eine politische Lösung des Konflikts neuen Auftrieb verliehen. Doch noch ist es ein weiter Weg zum Frieden. Während die Befreiungsbewegung Farabundo Marti (FMLN) den christdemokratischen Staatspräsidenten Jose Napoleon Duarte zum bedingungslosen Dialog auffordert, will Duarte mit der Guerilla nur verhandeln, wenn die Regierung in Nicaragua gleichzeitig mit der von der US–Administration ausgehaltenen Contra Gespräche aufnimmt. Doch die Sandinisten wollen nicht mit der Contra, sondern nur mit ihrem obersten Chef, der im Weißen Haus sitzt, reden. Duarte setzt also Bedingungen, die ihm garantieren, daß er nicht verhandeln muß. Eduardo Calles, Mitglied des dreiköpfigen Exekutivkomitees und Vizepräsident der Revolutionären Demokratischen Front (FDR), des politischen Linksbündnisses, das mit der FMLN eine strategische Allianz eingegangen ist, zeigt sich trotzdem vorsichtig optimistisch und deutet an, daß erstmals die in der FDR zusammengeschlossenen Parteien aus taktischen Gründen in einen Dialog vorgeschickt werden könnten. Das folgende Interview wurde in Managua geführt. Die FDR kann in El Salvador nicht legal arbeiten, ihre Führer dürfen nicht ins Land zurück. taz: Die fünf Präsidenten Zentralamerikas haben am 7. August in Guatemala einen umfassenden Friedensplan für die Region unterzeichnet, der im November in Kraft treten soll. Welche prakti schen Auswirkungen wird das Abkommen auf den Krieg in El Salvador haben? Eduardo Calles: Alle Welt meint, daß sich ein Weg geöffnet hat, der über einen Dialog zur Lösung des Konfliktes führen kann. In diesem Sinn wird es wohl auch Pressionen auf Duarte geben. In manchen Ländern geht man davon aus, daß El Salvador unter Napoleon Duarte bereits eine Demokratie ist oder zumindest auf dem besten Weg dazu. Die Tatsachen beweisen, daß diese Einschätzung falsch ist. Die kritischen Lebensbedingungen der großen Bevölkerungsmehrheit haben Proteste der Arbeiterschaft hervorgerufen. Auf die Forderungen der Gewerkschaften reagiert die Regierung mit Repression. Das jüngste Beispiel ist die Militarisierung der staatlichen Krankenhäuser, als die Arbeiter in Streik traten. Eine politische Öffnung in El Salvador gibt es nicht. Die FDR hat bisher keine Garantien bekommen, um im Lande offen arbeiten zu können. Es gibt also keine politischen Freiheiten. In Nicaragua weiß man ziemlich genau, welche Schritte von der Regierung im Rahmen des Abkommens von Guatemala erwartet werden: Aufhebung des Notstandes, Wiederherstellung der Pressefreiheit, etc. Welche Schritte soll Duarte unternehmen? Der Konflikt in El Salvador hat andere Wurzeln als der in Nicaragua: Die Krise geht viel tiefer. Man muß Strukturen verändern: politische, soziale, wirtschaftliche Strukturen. Das verstehen wir unter Demokratisierung. Wir haben der Regierung einen Sechspunkteplan für eine politische Lösung unterbreitet. Anschließend haben wir einen Vorschlag von 18 Punkten für die Humanisierung des Krieges gemacht, als ersten Schritt zu einer politischen Lösung. Bisher haben wir keine positive Antwort darauf bekommen. Wie sieht dieser Vorschlag aus? Erstens sind wir für eine Lösung unter Salvadorianern, deswegen muß die Einmischung der USA ein Ende finden. Wir müssen zu einer Waffenruhe kommen, damit eine Regierung mit breiter Beteiligung gebildet werden kann. So kann ein Klima geschaffen werden, das letzten Endes allgemeine Wahlen möglich macht. Regierung mit breiter Beteiligung - heißt das, daß ihr Duarte eine Allianz gegen die Rechte anbietet, um die notwendigen Strukturreformen durchsetzen zu können? Nein, ich glaube nicht, daß Duarte Reformen durchsetzen will, aber von der Rechten daran gehindert wird. Duarte hat sich die Positionen der Rechten und der US–Regierung zu eigen gemacht. Wie könnt Ihr dann erwarten, daß sich Duarte auf einen Dialog einläßt, der mit seiner Entfernung von der Macht enden muß? Nach den Wahlen 1988 muß Duarte sowieso gehen. Eine Wiederwahl ist durch die Verfassung verboten. Duarte ist nichts weiter, als eine Schachfigur im Counter– Insurgency–Modell, das von uns bekämpft wird. Wenn sich Christdemokraten von dem Counter–Insurgency–Modell lossagen, dann kann man mit ihnen auch reden und zu Vereinbarungen kommen. Für viele Beobachter ist der Erfolg des Präsidentengipfels überraschend gekommen. Wie erklärt sich dann dieser überraschende Wandel Duartes? Ich glaube, da hat es Druck von verschiedenen Seiten gegeben: von den anderen zentralamerikanischen Präsidenten, von Contadora und nicht zuletzt von liberalen Kreisen in den USA. Im Abkommen von Guatemala gibt es eine Aufforderung an die Aufständischen, ihre Gefangenen freizulassen. Ist die FMLN im Prinzip bereit, ihre Gefangenen herauszurücken? Die Bereitschaft dazu hat es immer gegeben. In der Vergangenheit hat die FMLN ja bereits größere Kontingente von Kriegsgefangenen freigelassen. Das Abkommen verlangt auch die Einstellung von Nachschub an „irreguläre Truppen“. Nicaragua und Kuba werden von den USA beschuldigt, die FMLN mit Waffen zu versorgen. Ich kann nicht im Detail sagen, wie die revolutionären Kräfte ihren Nachschub organisieren. Im Prinzip stützen sie sich jedoch auf die Bevölkerung im Landesinneren. Wir hätten da keine Probleme, eine internationale Kontrolle der Grenzen zu akzeptieren, damit garantiert kein Gewehr und keine Kugel mehr nach El Salvador hereinkommt. Ein Schlüsselproblem ist wohl der nationale Dialog, der im Vertrag vorgesehen ist. Habt ihr die Möglichkeit erörtert, daß sich einzelne der FDR angehörende Parteien daran beteiligen? Ja, allerdings ist noch keine Entscheidung gefallen. Wir schließen die Möglichkeit nicht aus, als FDR oder auf der Ebene einzelner Parteien mit der Regierung zu diskutieren. Wir bestehen aber darauf, daß es ohne FMLN keine Lösung geben kann. Derartige Gespräche würden also die Allianz der politischen Front FDR mit der Guerilla FMLN nicht in Frage stellen? Nein, denn wir sehen solche Gespräche nicht als separaten Weg zur politischen Lösung. An der definitiven Lösung müssen beide, FDR wie FMLN, teilhaben. Im Guatemala–Abkommen ist etwas widersprüchlich die Rede einerseits von Waffenstillstand, andererseits von Verhandlungen jeweils nur mit der zivilen Opposition. Wie kann ohne Verhandlungen zwischen Regierung und Guerilla ein Waffenstillstand zustande kommen? Um einen Waffenstillstand auszuhandeln, muß man miteinander sprechen. Wer das Abkommen wirklich unterstützt und die politische Lösung sucht, darf sich da auf keine Manöver einlassen. Duarte hat schon begonnen, das Abkommen zu manipulieren. Er hat uns zu einem Dialog am 15. September aufgefordert. Wir haben uns einverstanden erklärt und einen Tagungsort und Mechanismus vorgeschlagen. Dann begann Duarte plötzlich, Bedingungen zu stellen. Er forderte uns auf, zuerst das Abkommen voll zu akzeptieren. Das hieße auf die Gleichbehandlung mit den Contras (wie sie das Abkommen enthält, d.Red.) einzugehen. Wir zweifeln daher an seiner Aufrichtigkeit. Duarte fordert als Voraussetzung für einen Dialog mit der FMLN die Entwaffnung der Truppen. Das kommt überhaupt nicht in Frage. Denn wenn die FMLN die Waffen niederlegt, wird sich das repressive Regime konsolidieren, und jede Möglichkeit, dem salvadorianischen Volk eine volksverbundene demokratische Regierung zu bringen, rückt in weite Ferne. Das Gespräch führte Ralf Leonhard

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